Oksa Pollock. Die Unbeugsamen (German Edition)
dieses äußerste aller Mittel eingeschlossen.«
»Ich verstehe schon«, hauchte Oksa.
Er trat vor sie hin und sah ihr tief in die Augen.
»Ich wünschte, es wäre nicht so, aber ich muss dir leider eine dieser furchtbaren, tödlichen Waffen geben. Denn es könnte sein, dass sie sich als das einzige Mittel erweist, um den Mann aufzuhalten, der die größte Bedrohung für uns darstellt.«
»Was willst du damit sagen?«, stammelte Oksa. »Dass ich … Orthon töten muss?«
Der bloße Gedanke ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Mehr als einmal hatte sie sich seinen Tod gewünscht. Doch auch wenn Orthon der Todfeind der Rette-sich-wer-kann war und die beiden Welten ohne ihn weit besser zusammen existieren könnten, löste der Gedanke, ihn zu töten, einfach nur Entsetzen bei ihr aus.
»Orthon ist unser größter Feind. Er ist einer von jenen Männern, die nur der Tod aufhalten kann, und das bedaure ich mehr als jeder andere. Aber vergiss nie, dass er nicht allein gegen uns antritt, sondern dass das Böse längst ausgesät ist.«
Oksa schaute ihn mit aufgerissenen Augen an.
»Wenn es also dazu kommen sollte, dass du es tun musst, dann tu es«, sagte Abakum mit einem kaum hörbaren Flüstern.
Er wandte sich zu den Regalen um und streckte den Arm aus, der sich sogleich so weit verlängerte, bis er das schwarze Glas erreicht hatte. Ein Beflissener eilte herbei und bot seinen Rücken als Abstellfläche an. Seine samtig braunen Augen waren mit grenzenloser Bewunderung auf Oksa gerichtet. Abakum öffnete das Gefäß mit dem todbringenden Inhalt und Remineszens trat zu ihm und hielt ihm eine verchromte Pinzette hin. Die beiden tauschten einen Blick.
»Oksa, gibst du mir bitte dein Granuk-Spuck?«
Hektisch kramte Oksa in ihrer Umhängetasche.
»Da«, sagte sie mit zitternder Stimme.
Abakum holte ein pechschwarzes Granuk aus dem Gefäß. Es war so groß, dass Oksa zweifelte, ob es überhaupt in das Blasrohr passen würde. Doch sobald es die Öffnung berührte, zog es sich zusammen und wurde ins Innere des magischen Blasrohrs gesogen. Die Oberfläche des Rohrs erhitzte sich, bis Oksa kurz davor war, es fallen zu lassen. Doch als der Beflissene einmal dagegenblies, nahm es wieder eine normale Temperatur an.
»Abakum?«, sagte Oksa leise. »Bitte nimm du auch eines …«
Er sah sie schmerzerfüllt an und kam ihrer Bitte nach.
»Jetzt hör gut zu«, sagte er mit aschgrauem Gesicht.
Dann flüsterte er ihr die Granuk-Formel ins Ohr, die ihr erlauben würde, das schreckliche Granuk zu benutzen, wenn der Augenblick gekommen war. Und die Junge Huldvolle betete insgeheim, dass dieser Augenblick nie kommen möge.
Eine Überraschung für die Huldvolle
O
ksa stand auf ihrem Balkon in der obersten Etage der Gläsernen Säule und betrachtete verwundert Die-Goldene-Mitte. Die sonst so lebendige Stadt war heute wie ausgestorben, als wären ihre Einwohner allesamt verschwunden.
»Und du willst mir wirklich nichts verraten, lieber Plemplem?«
Das pummelige kleine Geschöpf schüttelte energisch den Kopf.
»Dem Willen der Dienerschaft meiner Huldvollen steht nichts im Wege, was das Überbringen einer Bestätigung betrifft.«
»Wo ist dann das Problem?«, rief Oksa und kniete sich vor ihm hin. »Was hindert dich daran, mir zu sagen, was los ist, wenn du es willst?«
»Die Dienerschaft meiner Huldvollen hat dem Feenmann und dem Vater meiner Huldvollen ein Versprechen geleistet, den Mund geschlossen zu halten.«
Oksa überlegte.
»Ich verstehe. Man verschwört sich also gegen mich.«
Sie machte ein ausgesprochen strenges Gesicht und sagte: »Das ist aber nicht sehr schön von dir.«
Der Plemplem verschluckte sich fast vor Schreck. Seine großen blauen Augen kreisten in ihren Höhlen, und er wurde vor Aufregung ganz durchsichtig.
»Oooh, meiner Huldvollen widerfährt das Untertauchen in die Täuschung«, stammelte er. »Die Verschwörung gibt es nicht im Herzen des Feenmannes und der Vaterschaft meiner Huldvollen!«
Oksa vergrub die Hände in den Taschen ihrer Jeans und lächelte. Dann nahm sie den ganz geknickten Plemplem in die Arme, wodurch der Ärmste nur noch durchsichtiger wurde.
»Entschuldigung, lieber Plemplem! Das war doch nur ein Scherz!«
Diese Bemerkung fasste der Getorix als Einladung auf, sich über den Plemplem lustig zu machen.
»Na, du Hausmeister! Du weißt wohl nicht, was Humor ist? H, U, M, O, R«, buchstabierte er und hüpfte dabei um den Plemplem herum.
»Hör auf damit!«, schimpfte Oksa.
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