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Oksa Pollock. Die Unbeugsamen (German Edition)

Oksa Pollock. Die Unbeugsamen (German Edition)

Titel: Oksa Pollock. Die Unbeugsamen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cendrine Wolf , Anne Plichota
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entfaltete sich, und der prachtvolle Stoff mit den sagenhaften Stickereien wurde wieder sichtbar. Oksa strich ihr weißes Hemd glatt und knüpfte die Krawatte neu, die sie keinen Moment mehr ablegte. Dann klopfte sie ihre Jeans ab und legte den Umhang an. Die Stickereien hatten nichts von ihrer Kraft verloren. Sobald Oksa sie berührte, verbreitete sich eine unglaubliche Energie in ihrem ganzen Körper, und große Wärme strömte durch ihr Herz. Und wie jedes Mal, wenn sie den Umhang anhatte, ließ sie sich von diesem Gefühl tragen. Oksa sah sich nach ihrem Vater um, doch der war verschwunden.
    »Meiner Huldvollen wird der Rat gegeben, den Blick zum Balkon zu lenken«, sagte der Plemplem.
    Oksa drehte sich um und sah, was sie sich insgeheim schon gedacht hatte: Ihr Vater erwartete sie freudestrahlend, und über ihm hatte der Tintendrache seine Flügel ausgebreitet.
    Oksa saß auf dem Rücken des riesigen Geschöpfs, ihr Umhang flatterte im Wind, während sie über Die-Goldene-Mitte hinwegflogen. Der Eindruck, den sie von der Spitze der Säule aus gehabt hatte, bestätigte sich: Die ganze Stadt war wie ausgestorben. Der Tintendrache flog im Tiefflug über die Dachterrassen und die Ringstraßen, die teilweise schon von vielversprechendem Grün gesäumt waren.
    »Wo sind die denn alle hin?«, fragte Oksa.
    Die Geschöpfe, die sie begleiteten, blieben stumm. Sie hatten den »Verschwörern« versprochen, absolutes Stillschweigen zu bewahren. Plötzlich bog der Tintendrache zu den Hügeln im Norden ab, wohin Tugdual Oksa vor einigen Tagen geführt hatte, und erreichte schließlich den kahlen Hügelkamm.
    Oksa hatte zwar so eine Ahnung, was da heimlich vorbereitet worden war, aber auf das, was ihr Volk in der kurzen Zeit auf die Beine gestellt hatte, war sie dann doch nicht gefasst. Und so hätte sie um ein Haar den Panzer des Tintendrachen losgelassen, als er über die Hügelkuppe flog und sie die »Überraschung« entdeckte, die man für sie vorbereitet hatte.
    Alle Anhänger der Neuen Huldvollen – an die fünftausend Männer, Frauen, Kinder und Geschöpfe – drängten sich auf einem Dutzend Tribünen rund um das schwarze Wasser des Dunkel-Sees. Bei ihrem Anblick sprangen alle jubelnd auf, und die Hochrufe wurden von dem Schutzschild noch verstärkt. Der Tintendrachen segelte knapp über der Wasseroberfläche den ganzen See entlang, machte dann kehrt und flog ganz langsam an dem von der Menschenmenge gesäumten Ufer zurück. Überall, wo Oksa vorbeikam, schwoll der Jubel noch einmal an. Es war ein erhebendes Gefühl. Mit Tränen in den Augen blickte sie auf die vielen Gesichter hinunter, die ihr lachend und freudestrahlend zugewandt waren. All diese Menschen, die ihr mit vorbehaltloser Hingabe folgten, waren heute hier zusammengekommen, um sie, ihre Neue Huldvolle, zu feiern.

Das Fest kann beginnen!
    U
nter dem Jubel der Menge setzte der Tintendrache auf dem winzigen Sandstreifen vor der kleinsten Tribüne auf. Über den Rängen bauschte sich eine große Markise, die dieselben Farben hatte wie die Wimpel und Banner, die überall flatterten: Dunkelblau und Bordeauxrot, die Farben von Oksas Krawatte! Die Neue Huldvolle war ganz gerührt von dieser Aufmerksamkeit. Sie ließ sich von der Flanke des Drachen auf den weißen Sand gleiten, und ihre drei Geschöpfe – der Plemplem, der Kapiernix und der Getorix – folgten ihr. Die Zuschauer staunten nicht schlecht, als sie sahen, wie der Drache wieder seine Tintengestalt auf dem Rücken seines Herrn annahm.
    »Begegnet meiner Huldvollen der Wunsch, den Anstieg auf die Tribüne vorzunehmen?«, fragte der Plemplem. »Die Rette-sich-wer-kann und die Nächsten der Huldvollen kennen das Erwarten Eurer geografischen Nähe.«
    Oksa hob die Augen und sah in der obersten Reihe die Gesichter all der Menschen, die ihr nahestanden: den Knut-Clan und den Fortensky-Clan, die Bellangers, Zoé und Remineszens, die Diener des Pompaments und natürlich Abakum, ihren Beschützer, der heute glücklicher aussah denn je.
    »Komm, meine Kleine«, flüsterte Pavel, der an ihrer Seite stand.
    Er wollte ihr schon väterlich beschützend die Hand auf die Schulter legen, doch dann überlegte er es sich anders. Oksa, der sein Zögern nicht entgangen war, streifte seine Hand. Der Umhang berührte ihn leicht, und Pavel zuckte zusammen, so überrascht war er von der großen Kraft der Stickereien. Dann drehte Oksa sich um, warf die Haare zurück und schritt energisch zur Tribüne der Huldvollen hinauf,

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