Oksa Pollock. Die Unverhoffte
Plemplem und trat aus seiner Ecke heraus. »Die Junge Huldvolle muss die Auskunft bekommen, dass derjenige, der ihr Freund ist, der Reanimation begegnet ist. Er lebt wieder!«
»Du willst damit sagen, dass Gus aufgewacht ist!«, rief Oksa aus. »Oh, das ist ja super!«
Und ehe der Plemplem ein weiteres Wort sagen konnte, stürmte sie in den ersten Stock.
»Gus! Wie geht’s dir?«, rief sie und platzte in das Zimmer ihres Freundes.
Den Kopf von drei Kissen gestützt und die linke Gesichtshälfte mit einem großen Pflaster bedeckt, schaute Gus Oksa entgegen. Ein strahlendes Lächeln breitete sich auf seinem schönen eurasischen Gesicht aus.
»Ganz gut«, antwortete er. »Ich war mir allerdings sicher, dass ich eines qualvollen Todes sterben würde von dem Biss, den mir dieses Höllenbiest versetzt hat. Jetzt habe ich nur noch Wahnsinnsschmerzen und bin vielleicht gerade dabei, zu mutieren, ohne es zu merken … Und bei dir? Gibt’s was Neues?«
Oksa konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Sie war so erleichtert und gleichzeitig so entsetzt, dass sie in allerhöchste Aufregung geriet. »Ach Gus, wenn du wüsstest!«
Und sie begann, ihm die ausgesprochen aufschlussreichen Erkenntnisse der letzten Stunden bis ins Detail zu erzählen. Gus saß in seinem Bett und hörte ihr aufmerksam zu, ohne sie zu unterbrechen. Er war völlig baff.
Als Oksa fertig war, pfiff er und sagte: »Mensch! Was für eine unglaubliche Geschichte, in die wir da reingestolpert sind! McGraw, ein Treubrüchiger aus Edefia? Wie übel …«
Die beiden Freunde sahen sich wie elektrisiert an.
»Und dann benimmt sich Leomido auch noch sehr seltsam«, sagte Oksa und rückte näher zu Gus. »Er scheint McGraw in Schutz nehmen zu wollen, fast so, als würde er auf seiner Seite stehen.«
»Du glaubst doch nicht etwa, dass er ihn auf deine Spur gebracht hat?«, fragte Gus aufgeregt.
»Nein, das nicht. Dann hätte er uns ja nicht so verteidigt, oder? Er hätte mich ihm einfach nur ausgeliefert und fertig. Nein, nein, das passt nicht zusammen. Da steckt irgendetwas anderes dahinter. Aber was?«
»Ist dir aufgefallen, dass McGraw viel jünger wirkt als dein Großonkel?«, sagte Gus. »Dabei müssen sie doch in etwa gleich alt sein, oder?«
»Stimmt«, antwortete Oksa grübelnd. »Das ist tatsächlich merkwürdig …«
»Und dann ist da noch was …« Gus schloss die Augen. Als er sie wieder aufschlug, stand große Verwirrung darin. »Ich war zwar halb bewusstlos, aber ich habe trotzdem gesehen, dass meine Eltern da sind«, flüsterte er.
»Deine Mutter …«, begann Oksa.
»… ist eine Rette-sich-wer-kann, oder?«, fuhr Gus tief bewegt fort.
Ein Räuspern ließ beide hochfahren. Sie drehten sich um und sahen Abakum, der mit verschränkten Armen am Türpfosten lehnte. Der alte Mann fixierte sie mit seinen durchdringenden grauen Augen.
»Oh, Abakum! Du hast sicher jedes Wort gehört!«, rief Oksa.
»Keine Sorge«, sagte Abakum in liebenswürdigem Ton. »Du weißt doch, dass du mir vertrauen kannst. Ich habe noch nie jemanden verraten.«
Oksa verzog das Gesicht.
»Darf ich dir einen Rat geben, Oksa? Hüte dich davor, zu urteilen, wenn du die Tatsachen nicht kennst. Die Dinge sind nicht immer so, wie sie zu sein scheinen.«
»Okay«, sagte Oksa mit gesenktem Blick.
»Allerdings sind Eindrücke und Intuition manchmal genauso viel wert wie exaktes Wissen«, fügte Abakum bedeutungsvoll hinzu. »Es ist nur eine Frage der Dosierung.«
Er sah die beiden Freunde lange an, dann fragte er neugierig: »Habe ich euch zufällig über Orthons Aussehen reden hören? Was wolltet ihr damit sagen?«
»Na ja, er wirkt viel jünger als Leomido, es ist wirklich komisch«, erklärte Oksa.
»Was meinst du mit ›viel jünger‹?«
»Ich meine einen Altersunterschied von dreißig Jahren – mindestens«, antwortete Oksa, während Gus zustimmend nickte.
»So viel? Dann kann ich eure Überraschung verstehen«, sagte Abakum erstaunt.
Der alte Mann kniff die Augen zusammen, strich sich über den kurzen Bart und wirkte für einen Moment geistesabwesend.
»Was hat das zu bedeuten, Abakum?«
»Ich habe da so eine Ahnung, aber das verschieben wir besser auf später. Gus hat erst einmal ein viel dringenderes Anliegen, glaube ich … Du wunderst dich über die Anwesenheit deiner Eltern, nicht wahr?«
»Oh ja!«, rief Gus und strich eine Haarsträhne zurück, die ihm ins Gesicht gefallen war. »Außerdem steht meine Mutter auf der Liste. Also ist sie eine
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