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Oksa Pollock. Die Unverhoffte

Oksa Pollock. Die Unverhoffte

Titel: Oksa Pollock. Die Unverhoffte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Plichota
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war?«, raunte Oksa ihrer Großmutter zu. »Wie war er denn?«
    Statt einer Antwort stand Dragomira auf und nahm ein Bild von der Wand. Gleich darauf erschienen dort Bilder und Dragomira setzte sich wieder.
    »Das Filmauge!«, murmelte Oksa begeistert. Sie freute sich, wieder einmal eine Direktübertragung der Erinnerungen ihrer Großmutter zu sehen.
    Die erste Szene, die an der Wand erschien, führte offenbar in Dragomiras Kindheit zurück. Ein Geburtstagskuchen mit sieben Kerzen stand auf einem schön geschmückten, voll beladenen Tisch. Oksa erkannte einige der Leute, die an ihm saßen, von der ersten Filmaugenvorführung: die Huldvolle Malorane – Dragomiras Mutter – und ihren Mann Waldo sowie drei junge Männer.
    »Das ist Abakum«, erklärte Dragomira, »und das da sind Leomido und Orthon.«
    Letzterer war etwa fünfzehn Jahre alt. Er war sehr schlank, fast schon schmächtig, und hatte ein sanftes, von braunem Haar umrahmtes Gesicht. Oksa hielt den Atem an: Da Orthon den Blick auf Dragomira richtete, sah es aus, als würde der junge Mann sie selbst beziehungsweise jeden Zuschauer des Filmauges ansehen. Doch in seinen Augen lag nichts Bedrohliches, im Gegenteil. Sein Blick war liebevoll und gütig – ein krasser Gegensatz zu dem des Mannes, den Oksa am selben Nachmittag gesehen hatte.
    »Na los, puste deine Kerzen aus! Und vergiss nicht, dir etwas zu wünschen!«, rief Orthon dem kleinen Mädchen zu, das Dragomira damals war.
    Das Filmauge hielt einen Moment inne und ging dann zu einer anderen, sportlicheren Szene über. Offenbar befand sich Dragomira zusammen mit Leomido und Orthon irgendwo in luftiger Höhe.
    »Leomido wird wieder gewinnen!«, rief Orthon fröhlich. »Los, Dragomira, wir müssen ihn einholen!«
    Doch Dragomiras Erinnerungen gingen in rascher Folge ineinander über, sodass niemand erfuhr, wie die Verfolgungsjagd ausgegangen war: Schon zeigte das Filmauge den Rette-sich-wer-kann eine dritte Sequenz. Orthon saß Leomido gegenüber und sah tieftraurig aus.
    »Ich bin nicht der richtige Sohn für einen Mann wie ihn«, sagte er zu seinem Freund. »Er kann mich nicht leiden, so wie ich bin. Er hätte einen Sohn wie dich haben wollen – einen mutigen Jungen mit einem starken und entschlossenen Charakter …«
    Eine vierte Szene erschien an der Wand, und Oksa erkannte die Gläserne Säule, den Wohnsitz der Huldvollen. Das Echo eines Gesprächs hallte von den Glaswänden wider und man sah den jungen, schmalgliedrigen Orthon aus einem Raum kommen. Scheinbar war die Unterhaltung nicht für Dragomiras Ohren bestimmt gewesen, denn ein Teil der Szene lag im Dunkeln, als hätte sich das Mädchen hinter einem Pfeiler versteckt.
    »Wie konntet Ihr so etwas nur geheim halten? Ist Euch klar, dass sie jetzt dafür büßen müssen? Diese ganze Sache ist nur Eure Schuld und die Eures verdammten Geheimnisses! Wenn jemand sich unmoralisch verhalten hat, dann Ihr , nicht sie!«, schrie Orthon.
    In Tränen aufgelöst kam Malorane Orthon hinterher, der am ganzen Leib zitterte; doch als sie sich ihm näherte, wehrte er sie heftig mit dem Handrücken ab.
    »Niemals werde ich Euch verzeihen!«, schrie er. »Hört Ihr? NIEMALS!«
    An das letzte Bild, das durch Dragomiras Filmauge zu sehen war, erinnerte sich Oksa noch lebhaft: Ein junger Mann mit einem Lederhelm bot den Anhängern Maloranes, die versuchten zu fliehen, die Stirn. Orthon. Das Große Chaos. Natürlich … Alle Sanftmut war aus dem Gesicht dessen, der ein Treubrüchiger geworden war, gewichen.
    Doch nun meinte Oksa in seinem harten und grausamen Blick auch tiefes Leid zu erkennen. Das war ihr bei der ersten Vorführung der Erinnerungen ihrer Großmutter nicht aufgefallen und es überraschte und verwirrte sie. Dann erlosch das Filmauge und Dragomira blieb eine Weile mit geschlossenen Augen in sich gekehrt sitzen. Leomido ihr gegenüber wirkte gequält, sein Atem ging unruhig.
    »So war Orthon«, kommentierte Dragomira wieder gefasst. »Ein liebenswürdiger Junge, den sein Vater kaputt gemacht hat. Ein zarter und unglücklicher junger Mann, der unser bester Freund war und zu unserem Feind wurde … Ob wir je erfahren werden, was zwischen Malorane und ihm vorgefallen ist?«
    Dragomira sah ihren Bruder mit tränenfeuchten Augen an. Der öffnete den Mund, brachte jedoch keinen Ton heraus. Er schluckte mühsam und seine Züge spannten sich noch mehr an.
    »Ich weiß nur«, stieß Leomido schließlich flüsternd hervor, »dass nach dem Gespräch mit

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