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Oktoberfest

Oktoberfest

Titel: Oktoberfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scholder Christoph
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Wand gegenüber auf dem Boden lag. Sein Gesicht unter der Brille war verzerrt. Sein rechter Arm fehlte. Der Mund des GSG-9-Beamten war weit geöffnet.
    Aber Hartmut Rainer hörte nur das Klingeln.
    Die drei anderen Beamten seines Trupps konnte er nirgends entdecken. Dann bemerkte er, dass die Wände um ihn herum mit irgendetwas bespritzt waren. Nur langsam fand sein Gehirn sich dazu bereit, einzusehen, dass es sich um die Überreste seiner drei Kameraden handeln musste. Er kannte die Witze, die über diese Mine gemacht wurden. Es gab einen feststehenden Begriff für die Wirkung der AIM-64: Geschnetzeltes.
    Sein Atem ging keuchend, eine neue Schmerzwelle überrollte ihn. Er biss die Zähne zusammen und versuchte, seinen rechten Arm zu bewegen, um sich aufzurichten. Aber sein rechter Arm wollte ihm nicht gehorchen.
    Er sah wieder zu seinem Kameraden an der gegenüberliegenden Wand. Die Gesichtszüge des Mannes waren mittlerweile entspannt. Der Mund war nur noch halb geöffnet, und ein stetiger Blutfluss strömte zwischen den schlaffen Lippen hindurch auf den nassen Boden.
    Ihr Hurensöhne, schrie Hartmut Rainer innerlich. Ihr gottverfluchten Hurensöhne! Fahrt zur Hölle!
    Er musste hier weg. Er brauchte dringend medizinische Versorgung. Sein Kreislauf war kurz davor, zu kollabieren. Schweiß lief ihm in Bächen am ganzen Körper entlang. Er versuchte, seine Beine zu bewegen, aber das ging aus irgendeinem Grunde nicht. Sein Blickfeld wurde kleiner und trübte sich ein. Mühsam bewegte er den Kopf, um nachzuschauen, warum er seine Beine nicht bewegen konnte.
    Als er an sich herabsah, waren da keine Beine mehr.
    Aus zwei Stümpfen von zerfetztem, dunklem Fleisch und hellerem Fettgewebe hingen einige zerrissene Muskelstränge. Die schartigen Enden seiner Oberschenkelknochen ragten daraus hervor. Aus den Oberschenkelarterien schoss das Blut im Rhythmus seines Herzens.
    Ein unglaubliches Entsetzen überkam ihn.
    Sein Mund öffnete sich.
    Er spürte zwar, wie seine Stimmbänder vibrierten.
    Er schrie aus vollem Hals.
    Aber Hartmut Rainer hörte nur das Klingeln.
    Sein letzter Gedanke galt weder seiner Frau noch seinen Kindern. Sein letzter Gedanke galt dem Mann, den er als Herrn Müller kennengelernt hatte. Wie auch immer du heißt, wer auch immer du bist und welcher Höllenschlund auch immer dich ausgespuckt haben mag: Reiß diesen Hurensöhnen den Arsch auf, flehte er still. Reiß ihnen den Arsch auf!
    Heiße Tränen der Wut quollen aus seinen verlöschenden Augen.
    Auch war sein letztes Gefühl nicht etwa Liebe oder Reue.
    Sein letztes Gefühl war der unbändige Wunsch nach Rache.
    *
    Stefan Meier mochte es, wenn er im Trockenen saß und es draußen regnete. Er lauschte dem Regen, der auf das Flachdach der Wiesn-Wache prasselte. Hin und wieder hörte er das Rollen des Donners.
    »Wow! Jetzt schifft’s aber gewaltig«, sagte er zu einem der beiden jungen Assistenten. Der Mann saß links von ihm am Schreibtisch und starrte mit verkniffener Miene auf seinen Bildschirm. Scheinbar endlose Zahlenketten zogen an seinen Augen vorbei. In einem zweiten Fenster waren die Wellenformen des unverständlichen Funkverkehrs der Geiselnehmer zu sehen.
    »Das kann man wohl sagen!«, schickte der junge Mann bestätigend hinterher, ohne den Kopf von seinem Monitor abzuwenden.
    Wie schön ist es doch, ein Dach über dem Kopf zu haben, dachte Stefan Meier. Er seufzte wohlig, während er sich an seinen letzten Urlaub erinnerte. Da war das ganz anders gewesen.
    Stefan Meier war Rucksacktourist aus Überzeugung. Er hatte schon alle Erdteile bereist, aber er fand immer noch neue Reiseziele, die ihn reizten. Letztes Jahr war er in Australien gewesen. Sie hatten in der endlosen Weite des Outbacks campiert, er und eine Gruppe von schwedischen Backpackern. Und dort waren sie von einem Unwetter überrascht worden. Ein Ereignis, das in Australien Seltenheitswert hatte. Nach wenigen Minuten schon hatte sich der Boden in einen schlammigen Morast verwandelt. Die Zelte hatten den Wassermassen nicht trotzen können.
    Zum Glück war das Unwetter schnell vorübergezogen und die Wärme der Sonne hatte alles in kurzer Zeit wieder getrocknet. Er hatte ein paar Fotos von ihrem abgesoffenen Zeltlager gemacht und sie von einem Internet-Café aus ins Netz gestellt.
    Moment mal!
    Stefan Meier hatte plötzlich eine Eingebung. Dieser Müller und der Herr Kroneder suchten doch nach Zeugen, die Bilder vom Biergarten des Benediktiner-Zeltes gemacht hatten. Er hatte

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