Oktoberfest
gehört, wie die beiden sich darüber unterhalten hatten. Bislang waren die Aufrufe über die Medien allerdings erfolglos geblieben. Möglicherweise lag das daran, dass die Menschen, die entsprechende Bilder gemacht hatten, den Aufruf nicht verstanden. Weil sie kein Deutsch konnten. Aber vor allem bei Asiaten war das Einstellen von aktuellen Urlaubsbildern ins Internet ganz groß in Mode.
Er hatte das damals ja auch gemacht. Großer Spaß. Seine Freunde in München hatten sich vor allem über seine kurzen, launigen Kommentare amüsiert. Von der australischen Nationalsportart »Freiluft-Schlammcatchen« hatte er da geschrieben. Und dass es in Australien viele seltene Tiere zu bestaunen gebe. Beispielsweise »begossene Pudel«.
Es gab dafür eigene Seiten im Netz. Die Leute bezahlten den Speicherplatz für die Bilder. Ihre Familien und Bekannten zu Hause konnten die Reise dann zeitgleich und hautnah mitverfolgen. Die bekannteste dieser Seiten war seines Wissens »getjealous.com«. Vielleicht hatten sie ja Glück und fanden dort etwas.
Denn mit der Entschlüsselung des Digitalfunks kamen sie nur sehr langsam voran. Sie hatten zwar inzwischen einige Algorithmusklassen bestimmen können, aber ein eventueller Durchbruch lag noch in weiter Ferne.
Und Stefan Meier hasste es, nicht voranzukommen.
Er wandte sich mit seinem Drehstuhl um, damit er seinen neuen Plan mit seinen beiden Assistenten besprechen konnte. Wenn sie zu dritt suchten, würden sie nicht allzu lange brauchen. Sie wussten ja genau, wonach sie suchen mussten, denn Ort, Uhrzeit und Datum waren bekannt. Und dann hätte er wenigstens etwas, das er diesem Herrn Müller präsentieren konnte. Er wollte gerade anfangen zu sprechen, als ihm noch eine andere Idee kam. Er würde vorher noch eine kleine Zigarettenpause einschieben.
So viel Zeit musste sein.
*
Härter hörte, wie die Echos von mindestens einem Dutzend Explosionen dröhnend durch die dunklen Kanäle im Münchner Untergrund rollten. Sie schienen von überall zu kommen. Kurz darauf drangen noch andere Geräusche an seine Ohren. Seine Nackenhaare stellten sich auf.
Gellende Schreie hallten durch die Gewölbe und Gänge.
Ein Massaker.
Ein ungeübtes Ohr hätte vermutlich gar nicht erkannt, dass diese Laute von Menschen stammten. Doch der Kapitän hatte solche Schreie bereits gehört, wenn auch noch nie in Deutschland. Menschen, die unter entsetzlichen Schmerzen elendiglich krepierten.
Einigen Beamten der anderen Trupps gelang es noch, ihre Funkgeräte zu aktivieren. So hörte Wolfgang Härter nicht nur die hundertfachen Reflexionen des Todes, die sich an den Wänden brachen und Echo um Echo erzeugten. Er hörte auch, wie Menschen nach Sanitätern riefen, die niemals kommen würden.
Niemand würde kommen.
Die Männer der GSG 9 starben allein. Unter der Erde. Umgeben von völliger Dunkelheit. Inmitten fauligen Unrats und stinkender Abwässer. Und er musste ihnen dabei zuhören.
»Mein Arm, o Gott, mein Arm! Ich blute stark!« Die Worte waren kaum verständlich.
»Wir haben Verluste!« Ein zweiter Mann.
»SANITÄTER!!« Er erkannte die Stimme des Truppführers Gelb, obwohl sie von Qualen entstellt war.
»Wir brauchen Verstärkung!« Blut blubberte in der Stimme des Mannes.
»Hilf mir doch jemand, bitte! Himmel! Alle anderen sind tot! Ich bin verwundet!« Der blanke Horror schwang in jedem Wort mit.
Номер 8 war noch immer nicht hochgegangen.
Sie hatten Glück. Hatten die Geiselnehmer Trupp Blau möglicherweise nicht bemerkt?
Der Kapitän lief mit der Mine in der Hand bis zur Abzweigung des nächsten Seitenkanals. Er musste das Ding schnellstens loswerden. Aber an einen konventionellen Wurf war nicht zu denken. Die Decke des Kanals war viel zu niedrig. Deshalb drehte er sich dreimal mit zunehmender Geschwindigkeit um die eigene Achse wie ein Diskuswerfer, dann ließ er die AIM-64 los.
Sie flog in die Schwärze des Seitenkanals. Er drückte auf die Sprechtaste an seinem Funkgerät.
»Versuchen Sie, sich in Sicherheit zu bringen! Suchen Sie Deckung! Versuchen Sie Ihr Glück in den kleinen Seitenkanälen!« Er stieß die Worte im Kommandoton in sein Kehlkopfmikrofon. Ohne eine Antwort der Männer von Trupp Blau abzuwarten, wandte er sich um und begann, den Weg zurückzusprinten, den sie gekommen waren.
Vor seinem inneren Auge erschien der Plan der Kanalisation, und in Sekunden ging er die Möglichkeiten der Deckung und der Flucht durch. Danach wusste er genau, wohin er wollte.
In
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