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Oktoberfest

Oktoberfest

Titel: Oktoberfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scholder Christoph
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wollte.
    Der Oberbürgermeister hatte was auf dem Kasten.
    Der verstand was von symbolischer Politik.
    So ein Kardinal trat ja auf einer ganz anderen Ebene auf als so ein Pressesprecher.
    Viel würdevoller.
    Dr. Frühe rief umgehend den Bundeskanzler an. Der verstand augenblicklich. Bereits Minuten später rief der Regierungschef ihn zurück. Der Kardinal sei einverstanden. Er habe dem Bundeskanzler gesagt, dass sein Glaube es ihm gebiete, sich »dieser Bitte nicht zu verschließen«, sondern sich vielmehr »dieser schweren Aufgabe zu stellen«.
    Die Pressekonferenz in Berlin wurde abgeblasen.
    Die Fernsehsender wurden informiert, dass es um acht Uhr eine Live-Übertragung aus dem erzbischöflichen Amtssitz geben würde. Alle Sender ließen daraufhin Laufschriften auf den Bildschirmen erscheinen.
    Und nicht nur die deutschen Sender reagierten prompt. Auch das gesamte Auslandsfernsehen war mit dabei. Milliarden von Menschen in aller Welt saßen mit gespannter Erwartung vor den Fernsehschirmen.
    Und Wilhelm Kardinal Donner löste die Aufgabe bravourös.
    In seiner scharlachroten Robe trat er vor eine einzige Kamera. Es gab keine Schnitte während seiner Ansprache. Die Übertragung dauerte insgesamt zehn Minuten. Während dieser Zeit zoomte die Kamera zweimal auf das Gesicht des Kirchenfürsten, ging danach aber wieder in die Totale.
    Der Kardinal hatte ein einfaches Pult mit seinem Wappen vor sich. Am oberen Rand des Pultes war schwarzer Trauerflor angebracht worden. Hinter ihm sah man eine weiße Wand mit einem schlichten Holzkreuz.
    Er sprach von einem »Tag der Trauer und des Verlustes, nicht nur für München und für Deutschland, sondern für die ganze Welt« und von einem »ungeheuerlichen, feigen Verbrechen«. Die Vokabel »Schuld« vermied er. Die Täter erwähnte er mit keinem Wort. Er redete von dem »unfassbaren Leid der Familien und Freunde der Toten«, von dem »tief empfundenen Mitgefühl jedes anständigen Menschen« und von dem »Trost, den man nur aus der Stärke des Glaubens erfahren könne«.
    Seine ernste und feierliche Stimme verfehlte ihre Wirkung nicht.
    Er benutzte die Formulierung »an welchen Gott auch immer man glaubt«. Er sagte, er werde jedes der Opfer, »gleich welchen Glaubens«, in seine Gebete einschließen. Er wünschte den Verantwortlichen »Gottes Segen und Beistand in dieser schweren Stunde der Prüfung«.
    Am Ende seiner Ansprache erklärte er, dass alle Kirchen des Landes ab sofort vierundzwanzig Stunden am Tag geöffnet seien. Wie die katholischen, so auch die evangelischen. Er rief die Bevölkerung zur Besonnenheit auf und dazu, »Kraft und Zuversicht im Gebet zu suchen«. Dann betete er ein Vaterunser und sprach einen bischöflichen Segen.
    Damit endete die Übertragung.
    Dr. Roland Frühe schaltete den Fernseher stumm und sah in die Runde, die in der bayerischen Staatskanzlei versammelt war.
    »Ein Meisterstück!«, sagte er mit ergriffener Stimme. Fast eine ganze Minute blieb es still. Man hörte nur ab und an eine Art Schnaufen. Er sah die Herren einen nach dem anderen an. Mehrere der Anwesenden tupften sich mit ihren Taschentüchern die Augen trocken. Als der Staatssekretär fortfuhr, war die kalte Ironie zurückgekehrt. »Einfach brillant!« Dr. Roland Frühe lächelte ein schmales Lächeln und fügte hinzu: »Das war ganz großes Tennis, meine Herren. Da können wir alle noch was lernen.«
    *
    Blochin musterte den Mann aus der Ferne mit verstohlenen Blicken. Er war sich beinahe sicher, dass er endlich gefunden hatte, was er suchte. Es passte alles: das kurze Haar, die breiten Schultern, die knappen Gesten.
    Um sicherzugehen, würde er den Mann mit einem Richtmikrofon von einem der Balkone aus belauschen lassen. Wenn er sich nicht täuschte, dann stünde Phase zwei nichts mehr im Wege. Phase zwei war für den nächsten Spätnachmittag vorgesehen.
    In seinem Kopfhörer knackte es. Okidadses Stimme drang an seine Ohren. Der Fernmeldeoffizier klang aufgeregt. »Der erwartete Anruf aus dem Kreml, General. Der Präsident höchstpersönlich hat vor dreißig Sekunden unser Trainingscamp, den ›Spielplatz‹, angerufen. Er möchte Sie sprechen. Sie haben ja vorausgesehen, dass so etwas passieren würde. Ich werde jetzt die Auslöschung der Hintergrundgeräusche aktivieren und die Aufnahme einspielen, die wir auf dem ›Spielplatz‹ gemacht haben. Wenn die Hintergrundgeräusche von misstrauischen Leuten in Moskau analysiert werden sollten, dann hören sie russische Lastwagen mit

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