Oktoberfest
Bundeskanzler.
»Moisadl. M – O – I – S – A – D – L. General Moisadl ist der Kommandeur der Gebirgsjägerbrigade 23. Standort Bad Reichenhall. Sie werden ihn wohl kaum kennen, aber die Münchner Bevölkerung erinnert sich bestimmt. Der Mann hat 1976 bei den Olympischen Winterspielen in Innsbruck eine Goldmedaille im Biathlon gewonnen. Der Mann ist ein Volksheld. Den ›Teufel in der Loipe‹ haben sie ihn damals genannt. Moisadl kam nach zwanzig Kilometern mit der deutschen Fahne in der Hand ins Ziel. Das Fernsehen kann tolle Bilder zeigen. Was für uns aber wichtiger ist: General Moisadl ist ein überaus besonnener und verantwortungsvoller Offizier. Der hat seine Truppe hervorragend in Schuss. Und der Mann ist ein Bayer, wie er im Buche steht. Ich schlage deshalb vor, die Gebirgsjäger in München einrücken zu lassen.«
Mit leiernder Stimme zählte er die Bataillone auf. »Bataillon 231 und 210 aus Bad Reichenhall, 232 aus Bischofswiesen und 233 aus Mittenwald. Dazu das Gebirgspionierbataillon 8 aus Brannenburg. Damit haben Sie genug Truppen in der Stadt, um das Regierungsviertel zu schützen und an neuralgischen Punkten schwerbewaffnete Posten aufzustellen. Das wird mit Sicherheit Wirkung zeigen.«
»Und was sollen Gebirgsjäger gegen Plünderer ausrichten? Soll ich auf die eigene Bevölkerung schießen lassen?«
»Das müssen Sie dann schon General Moisadl überlassen. Aber ich halte es für ausgesprochen unwahrscheinlich, dass es so weit kommt. Was wir mit der Entsendung der Truppen vor allem bekämpfen, ist die Angst der Menschen. Ich weiß, das klingt paradox.«
Der Regierungschef stimmte im Stillen zu.
Härter holte tief Luft, bevor er fortfuhr: »Und was die befürchteten nächtlichen Krawalle angeht, empfehle ich Ihnen eine Ausgangssperre ab zehn Uhr abends.« Nach einer kurzen Pause setzte er hinzu: »Oder sagen wir ab elf.«
»Eine Ausgangssperre?«, fragte der Bundeskanzler mit lauter Stimme zurück. »Wie soll so etwas machbar sein? Das kann ich nicht. Eine solche Maßnahme ist im Grundgesetz nicht vorgesehen.«
»Was die Anordnung einer Ausgangssperre angeht, haben Sie natürlich recht. Man kann die Menschen juristisch nicht dazu zwingen, in ihren Wohnungen zu bleiben.«
»Na also. Und wie stellen Sie sich das dann vor? Mit Verlaub, das scheint mir kein besonders durchdachter Vorschlag gewesen zu sein, Poseidon.«
»Lassen Sie den Moisadl mal machen. Der bekommt das schon hin.«
»Ich soll einen Bruch der Verfassung durch die Streitkräfte tolerieren? Unmöglich!«
»So habe ich das nicht gemeint. Aber sehen Sie, auch das Militär hat intern Szenarien ausgearbeitet, die mit der aktuellen Situation in München vergleichbar sind. Das entsprechende Vokabular hat ja im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg bereits Eingang in die öffentliche Diskussion gefunden. Die Formel heißt: Aufbau einer Drohkulisse. Wenn der Moisadl mit seinen Männern in München Stellung bezogen hat, dann sieht die Situation für die Bevölkerung augenblicklich anders aus. Ich kann Ihnen garantieren, siebentausend Soldaten unter Waffen und im Feldanzug, begleitet von gepanzerten Fahrzeugen mit Maschinengewehren, stellen einen massiven Eingriff in das gewohnte Stadtbild dar. Glauben Sie mir: Da würde auch Ihnen die Lust auf einen Abendspaziergang vergehen. Außerdem kann General Moisadl durch seine Truppen Menschen in Gewahrsam nehmen lassen. Wenn jeder, der nach elf auf der Straße angetroffen wird und nicht etwa als Arzt oder Ähnliches im Einsatz ist, festgesetzt werden kann, dann überlegen sich die Menschen, ob sie das riskieren wollen.« Der Kapitän stockte kurz.
»Da fällt mir noch etwas ein: In den nächsten zwei Tagen und Nächten werden Sie in München möglicherweise viele Richter brauchen. Wenn General Moisadl richtig auf den Tisch hauen muss, dann haben Sie dort innerhalb von Stunden Hunderte Ingewahrsamnahmen. Die Festgesetzten müssen alle schnellstmöglich einem Richter vorgeführt werden. Darauf sollten Sie vorbereitet sein.«
»Vielen Dank für Ihren Rat, Poseidon. Ich werde mir das durch den Kopf gehen lassen.«
»Nichts zu danken. Ich arbeite für Sie, schon vergessen? Ich wünsche Ihnen viel Glück, Herr Bundeskanzler. Auf Wiederhören!«
»Äh, warten Sie einen Moment, ich …«
Aber Poseidon hatte das Gespräch bereits beendet.
Eigentlich war ja auch alles gesagt, dachte der Kanzler. Er musste auf jeden Fall den Antrag nach Artikel 80 a stellen. Feststellung des
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