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Oktoberfest

Oktoberfest

Titel: Oktoberfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scholder Christoph
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Spannungsfalls. Er brauchte eine überwältigende Mehrheit für so einen Beschluss. Mindestens zwei Drittel. Und er würde seine Mehrheit auch bekommen. Er musste die Fraktionsvorsitzenden anrufen. Und seine Redenschreiber. Mit entschlossenem Gesicht griff der Regierungschef zum Telefon, um seine Truppen zu sammeln.
    Wenn der Spannungsfall festgestellt wäre, dann wäre zwar nicht die Anordnung, wohl aber die Realisierung einer Ausgangssperre möglich.
    Und die Mobilisierung der Streitkräfte wäre demokratisch legitimiert.
    *
    Kaliningrad, 17:46 Uhr Ortszeit
    Dr. Urs Röhli hob mit sichtbarer Anstrengung seinen Koffer vom Gepäckband. Er ging langsam durch die Halle des Flughafens Chrabrowo. Seinen Koffer zog er auf Rollen hinter sich her. Einmal hielt er kurz an und stellte seine Uhr wieder eine Stunde zurück. Er verließ den Flughafen und nahm ein Taxi zum Hotel »Bremerhaven«. Dort war er bereits bekannt. Dr. Röhli hatte schon öfter in Kaliningrad zu tun gehabt. Der Name des Hotels war die Folge von hohen Investitionen aus der Hafenstadt an der Wesermündung.
    Während er vom Flughafen zu seinem Hotel chauffiert wurde, sah er aus dem Fenster. Die Stadt war in einem beklagenswerten Zustand. Die Fassaden der Mietshäuser waren seit Jahrzehnten nicht mehr renoviert worden. Risse im Mauerwerk. Heruntergekommene Fenster und Türen. Die Straße hatte tiefe Schlaglöcher, die der Taxifahrer allerdings geschickt umkurvte. Auch als sie sich der Innenstadt näherten, wurde es kaum besser. Schließlich erreichten sie ihr Ziel.
    Das kleine Hotel »Bremerhaven« lag in einem erstaunlich gepflegten Park. Dr. Urs Röhli mochte diesen Park. Dort konnte er sehr gut den eigenen Gedanken nachhängen. Dankbar sah er dem kräftigen Taxifahrer dabei zu, wie er das Gepäck aus dem Kofferraum hob, und gab ihm ein hohes Trinkgeld. Dann betrat er die Eingangshalle des Hotels.
    »Ah, Доктор Röhli!«, begrüßte ihn der Empfangschef und winkte sofort einen Pagen herbei. Er reichte dem schmächtigen Schweizer die Hand. »Wie schön, dass Sie uns wieder beehren. Und? Geht es Ihnen gut?«
    »Guten Abend«, sagte Dr. Röhli in seinem seltsam schleppenden Russisch, als er dem Mann die Hand gab. »Und danke der Nachfrage. Ja, es geht einigermaßen. Nur die Arthritis …« Er zeigte auf seine Knie.
    »Ach, Sie Ärmster«, sagte der Mann mit gespieltem Mitleid. »Ich habe Ihnen wieder Ihr Zimmer vom letzten Mal herrichten lassen. Ich hoffe, das ist in Ordnung?«
    »Ja, ausgezeichnet. Sehr aufmerksam. Ich gehe eben nach oben und mache mich etwas frisch. Wenn Sie mir ein Taxi bestellen könnten? Ich brauche eins in einer halben Stunde.«
    »Wird für Sie bereitstehen, Dr. Röhli.«
    Dr. Urs Röhli nahm den Schlüssel in Empfang, wandte sich ab und ging zu seinem Zimmer.
    Der kauzige Wissenschaftler aus der Schweiz ging etwas unsicher, fand der Empfangschef.
    *
    Matthias runzelte die Stirn. Er sah konzentriert auf das Schachbrett, das vor ihm auf dem Biertisch stand. »Ist das dein Ernst?«, fragte er Werner Vogel irritiert. »Ich habe doch gerade Gardez angesagt. Wenn du die Dame nicht wegziehst, dann schlage ich sie.«
    »Habe ich schon gesehen. Warte mal ab.«
    Drei Züge später musste Matthias sich geschlagen geben.
    Schachmatt.
    »So ein Mist! Ich habe gedacht, dass ich nicht mehr verlieren kann, nachdem ich dir die Dame weggenommen habe. Und dann so was. Aber jetzt ist mir das klar. Dadurch, dass ich deine Dame geschlagen habe, war der Turm nicht mehr hinten. Meine ganze Deckung war im Eimer.«
    »Exakt«, stimmte Werner ihm zu. »Manchmal weckt der Wunsch, die Dame zu schlagen, eine solche Begehrlichkeit, dass man für alles andere blind wird. Was ich gemacht habe, nennt man in der Schachsprache Gambit. Das Damenopfer. Es gibt Situationen, in denen ist es sinnvoll, die Dame zu opfern, wenn sich dadurch ein strategischer Vorteil ergibt.«
    »Damenopfer, so so«, sagte Matthias nachdenklich. »Gambit nennt man das also. Wieder was gelernt.«
    *
    Kaliningrad, 18:32 Uhr Ortszeit
    Dr. Alexander Ivanov, seines Zeichens Archivar im Militärarchiv von Kaliningrad, hatte gute Laune. Urs Röhli hatte seinen Besuch angekündigt. Das war für den dreiundsechzigjährigen Archivar immer ein Grund zur Freude. Lange Zeit hatte er überhaupt keine ausländischen Wissenschaftler zu Gesicht bekommen.
    Erst seit 1992, als die ganze Region zur Freihandelszone Jantar erklärt und für den internationalen Reiseverkehr geöffnet worden war, konnte er sich

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