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Oktoberfest

Oktoberfest

Titel: Oktoberfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scholder Christoph
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mit Kollegen austauschen. Und Dr. Urs Röhli vom renommierten »Zürcher Institut für militärische Zeitgeschichte und strategische Studien« war ein besonders freundlicher und interessanter Kollege. Nicht zuletzt der Fürsprache von Dr. Alexander Ivanov war es zu verdanken, dass Dr. Urs Röhli mittlerweile über ein Dauervisum für Reisen nach Russland verfügte.
    Das Leben von Alexander Ivanov war fünfzig Jahre lang sehr gleichmäßig, fast eintönig verlaufen. Erst vor dreizehn Jahren hatte sich seine Situation dann von Grund auf verändert. Michail Gorbatschow hatte damals einen Prozess in Gang gesetzt, der nicht mehr aufgehalten werden konnte.
    Vorher waren Kaliningrad und die gesamte Kaliningradskaja Oblast militärisches Sperrgebiet gewesen. Bis 1991. Und noch immer war dies eine waffenstarrende Gegend. Die Grenze zum NATO-Land Polen lag direkt vor der Haustür.
    Sechs Divisionen der russischen Armee waren im Gebiet um Kaliningrad stationiert. Hier befand sich ein Hauptquartier der Speznas-Verbände. Es gab sechs Militärflughäfen. Und der Hafen von Baltijsk war der Heimathafen der baltischen Flotte. Der einzige russische Hafen, der das ganze Jahr über eisfrei war und daher von überragender strategischer Bedeutung.
    Einhundertfünfzig Kriegsschiffe.
    Summa summarum ungefähr eine Viertelmillion Soldaten.
    Er hatte hier in Isolation gelebt und ausschließlich mit anderen Angehörigen des Militärs und bestenfalls noch ihren Familien zu tun gehabt.
    Er hatte die Stadt nicht verlassen dürfen.
    Ein einsames Leben hatte er geführt.
    Bereits als junger Student an der Militärakademie entwickelte Ivanov sein ausgeprägtes Interesse an militärhistorischen Zusammenhängen. Er promovierte in Geschichte. Bald hatte er selbst Kadetten unterrichtet. Aber seinem jugendlichen Idealismus war ein herber Dämpfer verpasst worden. Er wurde dazu verpflichtet, die politisch gewünschte Lesart der Geschichte zu lehren und nicht eine wissenschaftlich objektive.
    Diesen Maulkorb dankte Dr. Ivanov seinen Vorgesetzten mit gelegentlichen spitzen Bemerkungen in seinen Vorlesungen. Wahrscheinlich hatte er eine spitze Bemerkung zu viel gemacht.
    Auf jeden Fall war es seinen Vorgesetzten bald gelungen, den störrischen Freigeist aus dem Verkehr zu ziehen. Er wurde bei gleichem Gehalt ins Archiv versetzt, wo er kein Unheil in den Köpfen junger Kadetten anrichten konnte. Und dort arbeitete er nun seit fünfunddreißig Jahren.
    Dreiundzwanzig dieser Jahre waren für ihn von intellektueller Trostlosigkeit geprägt gewesen, doch die letzten Jahre hatten ihn fast dafür entschädigt. Nach der Öffnung der Grenze war sein Archiv zu einem Treffpunkt für Wissenschaftler aus aller Welt geworden. Seine Dokumentensammlung reichte bis weit in die Epoche von Preußens Glanz und Gloria zurück. Auch Material aus der Zarenzeit war bei ihm zu finden.
    Sein Archiv war unter Fachleuten weltweit bekannt.
    Seine Kataloge waren hervorragend geführt.
    Viele Universitäten und Stiftungen rund um den Globus unterstützten das Archiv mit Spenden. Er hatte seinen Laden im Griff, wie man so schön sagt. Und das nicht zuletzt dank der Hilfe von Dr. Urs Röhli. Der hatte ihm über das Institut in Zürich drei Computerarbeitsplätze und zwei Fotokopierer gespendet.
    Vor drei Jahren hatte hier in Kaliningrad ein großer Fachkongress internationaler Militärhistoriker stattgefunden. Da hatte er Dr. Röhli kennengelernt. Ein feiner Mann. Sehr belesen. Differenziert im Urteil. Dr. Röhli hatte ihn in den letzten drei Jahren regelmäßig besucht. Ivanov verfolgte auch Röhlis Veröffentlichungen in den einschlägigen Fachzeitschriften.
    Dr. Röhli beschäftigte sich hauptsächlich mit dem Kalten Krieg, manchmal allerdings auch mit aktuellen Themen. Ein halbes Jahr nach dem 11. September hatte er einen sehr guten Aufsatz über den Krieg gegen den Terrorismus geschrieben.
    Doch sein Kollege hatte noch eine weitere sehr gewinnende Eigenschaft. Er ließ bei jedem seiner Besuche ein ansehnliches Bündel Schweizer Franken liegen.
    Es klopfte.
    »Herein!«, sagte er auf Russisch.
    »Guten Abend, Herr Ivanov. Ich freue mich, Sie zu sehen!«
    »Herr Röhli, die Freude ist auf meiner Seite! Willkommen in der Stadt Immanuel Kants! Kommen Sie rein. Setzen Sie sich. Ich habe frischen Kaffee gemacht. Möchten Sie einen?« Er lächelte den Schweizer an und schüttelte ihm herzlich die Hand.
    »Gerne. Dann können wir uns unterhalten.«
    Mit einem Stöhnen ließ sich Dr. Röhli

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