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Oktoberfest

Oktoberfest

Titel: Oktoberfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scholder Christoph
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obersten Knopf seines Hemdes. Er zog den gelockerten Krawattenknoten zu, schlüpfte in sein Jackett, ging zur Tür und nahm den Mantel vom Haken.
    »Wo wollen Sie hin?«, fragte ihn der bayerische Innenminister.
    »Ich fahre zur Theresienwiese. Ich werde versuchen, persönlich Verhandlungen mit den Tätern aufzunehmen. Ich werde mich vor dieses vermaledeite Zelt stellen und mit denen reden. Ich bin mir sicher, dass ich eine Antwort erhalte.«
    Der Ministerpräsident hob im Hintergrund plötzlich die Stimme. Er telefonierte gerade, aber keiner der Anwesenden wusste, mit wem.
    »Das ist nicht Ihr Ernst«, rief der Chef der bayerischen Staatsregierung aufgebracht ins Telefon. Eine kurze Pause entstand. »Ach, das ist die Entscheidung des Stadtkommandanten? Na, das wollen wir ja mal sehen.« Mit einem wütenden Gesichtsausdruck beendete er das Telefonat.
    »So ein Idiot!«, stieß er hervor.
    »Wer war denn das? Was ist denn los?«, fragte Dr. Frühe nach. Er stand bereits an der Tür, doch die Reaktion des Chefs der Staatsregierung hatte sein Interesse geweckt.
    »Der Verteidigungsminister«, seufzte der Ministerpräsident. »Er hat mir gerade gesagt, dieser Moisadl will sein Hauptquartier im Rathaus aufschlagen. Der spinnt doch. Wieso kommt er nicht hierher, in die Staatskanzlei?« Ein übellauniges Schnauben erklang.
    Roland Frühe zuckte mit den Schultern. »Das kann ich Ihnen auch nicht sagen. Wer versteht schon, was im Kopf eines Soldaten vorgeht? Wenn da überhaupt etwas vorgeht!«
    Der Ministerpräsident war aufgestanden und zog sich ebenfalls an. »Ich werde zum Rathaus fahren und den Mann abfangen. Das Krisenzentrum ist hier, in der Staatskanzlei, in meinem Haus. Und da bleibt es auch!« Er sah sich im Raum um. »Sagen Sie mal, wo steckt eigentlich der Herr Oberbürgermeister?« Seine Frage blieb unbeantwortet im Raum hängen.
    Er ging zur Tür, auf Dr. Frühe zu. Die beiden Männer, den Verlust ihrer Macht vor Augen, sahen einander für Sekunden an. Und in diesem Blick lag zum Erstaunen beider fast so etwas wie gegenseitige Sympathie.
    Gemeinsam verließen sie den Kabinettssaal der bayerischen Staatskanzlei.
    *
    Kaliningrad, 20:30 Uhr Ortszeit
    »Das ist ja merkwürdig. Ich war mir vollkommen sicher, dass ich Unterlagen aus dieser Zeit über die Puteschestwenniki habe.« Alexander Ivanov zweifelte an seinem Verstand. Er ging nochmals seinen Katalog durch. Dann blickte er wieder verwirrt auf das leere Hängeregister in der Schublade, die aus dem Stahlschrank ragte.
    Urs Röhli hatte recht. Die Unterlagen über die Ausbildung der Puteschestwenniki, die für einen Einsatz in Deutschland vorgesehen waren, fehlten. Zwischen den Jahren 1967 und 1984 klaffte ein Loch. Nicht eine einzige Akte war vorhanden.
    »Das ist mir jetzt aber peinlich, Dr. Röhli«, sagte Ivanov mit verlegener Stimme. »Aber vielleicht kann ich Ihnen etwas anderes anbieten«, schickte er dann eilig hinterher. »Ich habe zum Beispiel sehr viel Material über die spanisch sprechenden Puteschestwenniki. Das war ein lustiger Haufen. Die wurden in Kuba ausgebildet. Dann wurden sie als Dissidenten und Intellektuelle dort inhaftiert. Die USA haben diese Leute freigekauft. Das war geschickt gemacht. Speznas hat den Amerikanern Läuse in den Pelz gesetzt und sich dafür auch noch in harten Dollars bezahlen lassen.« Ivanov gluckste. »Kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.«
    Röhli schüttelte den Kopf. »Vielen Dank, Dr. Ivanov. Aber ich arbeite an einer Studie über den Truppenrückzug der Roten Armee aus Ostdeutschland. Da hätte mich interessiert, mit einem Zeitzeugen zu reden. Tja …« Der Wissenschaftler aus der Schweiz seufzte bedauernd. »Da kann man wohl nichts machen.«
    »Sie haben wirklich Pech, Herr Kollege.« Ivanov sah ihn mitleidig an. »Der alte Professor Stern wäre Ihr Mann gewesen. Aber leider …«
    Röhli unterbrach ihn. »Wer ist das?«
    »Die richtige Frage müsste leider lauten: Wer war das?« Die Konzentration war in Dr. Ivanovs faltigem Gesicht zu lesen. Dann sprudelten die Daten aus seinem hervorragenden Gedächtnis nur so hervor.
    »Professor Samuel Stern. Geboren 1910. In Dresden, glaube ich. Nach dem Großen Vaterländischen Krieg wissenschaftlicher Berater des militärischen Geheimdienstes. Einer der führenden Köpfe bei der Ausbildung deutschsprachiger Puteschestwenniki. Ein sehr vornehmer und gebildeter Mann. Hat früh eine steile Karriere gemacht. War bereits ab Mitte der dreißiger Jahre einer der

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