Oktoberfest
Ihren Steuergeldern werde ich nicht bezahlt. Ihre Steuern werden hoffentlich ausschließlich für Finanzbeamte verwendet, die versuchen, hinter Ihre Schweinereien zu kommen.«
Moisadl bedachte Hirschmoser mit einem Blick, in dem die Wärme einer Berchtesgadener Winternacht lag.
»Ich kenne Leute wie Sie«, fuhr er fort. »Und ich kann Leute wie Sie nicht ausstehen.« Der Brigadegeneral hob die Stimme. »Durch und durch korruptes Gesindel! Leute wie Sie haben Schuld daran, dass Bayern als Amigoland verschrien ist.«
Hirschmoser lief rot an. Auf seiner Stirn wurde eine Ader sichtbar.
Der General war noch nicht fertig mit seinem Gegenüber. Sein rechter Zeigefinger stieß wie der Schnabel eines aggressiven Straußenvogels rhythmisch in die schwabbelige Brust des Wiesn-Wirtes. Und seine Worte flogen Hirschmoser wie Wurfmesser entgegen: »Damit die Sache zwischen uns beiden klar ist, Herr Hirschmoser. Ich würde nicht einmal auf Sie pissen, wenn Sie in Flammen stünden.«
Die bayerische Herkunft des Generals wurde in seinem Dialekt hörbar. »Und jetzt schleich dich, du ausgefressener Dultstand, du Zipfel, du! Sonst wirst festgesetzt! Grattler!« Moisadl drehte sich auf dem Absatz um und ging zurück ins Rathaus.
Josef Hirschmoser verfiel in Schnappatmung.
*
Brighid McNamara hatte rotblondes Haar und helle Haut. Nase und Wangen waren mit Sommersprossen übersät. Dem ersten Eindruck nach, den Professor Heim während seiner Unterhaltung mit der Frau gewonnen hatte, war die Ehefrau des amerikanischen Offiziers eine ganz reizende Person.
Mit einem offenen Lächeln und strahlenden Augen hatte sie begeistert von ihren Erlebnissen in Deutschland und Europa erzählt. Sie fühle sich hier sehr wohl, hatte sie ihm versichert. Die Frau, das wusste Peter Heim inzwischen auch, war irischer Abstammung. Sie hatte ihm die Bedeutung ihres Vornamens erklärt. Brighid war in der keltischen Mythologie die Göttin des Lichtes und der Dichtkunst.
Der Schwächeanfall von Brighid McNamara kam völlig überraschend. Professor Heim hatte sich gerade mit dem Marineinfanteristen über dessen Erfahrungen im Irak-Krieg unterhalten, als die Frau bleich wurde. Auf ihrer Stirn und Oberlippe bildete sich ein feiner Schweißfilm. Er war total perplex, als Brighid plötzlich zur Seite kippte.
McNamara reagierte sofort. Er fing seine Frau auf, hob sie hoch und bettete sie vorsichtig auf den Boden. Ihre Beine legte er auf eine Bank. Aber auch, als er ihr Luft zufächelte, rührte sich die Frau nicht.
»Sie ist im vierten Monat schwanger«, sagte Oberstleutnant McNamara zu Peter Heim. »Ich wollte deshalb eigentlich gar nicht hierhergehen. Aber sie hat darauf bestanden. Sie hat gesagt, ich hätte mich doch so sehr auf das Oktoberfest gefreut. Sie hat ja auch nur Limonade getrunken.« Besorgnis schwang in seiner Stimme mit. Zärtlich strich er mit einer Hand über die blutleere Wange seiner Frau.
»Ich hole Hilfe«, erwiderte Peter Heim und erhob sich.
Der Professor sah sich im Zelt um. Dann trat er auf einen der Männer im schwarzen Anzug zu. Währenddessen folgte ihm von einem der Balkone aus der Lauf eines Maschinengewehrs.
»Entschuldigung, aber wir brauchen einen Sanitäter«, sagte Heim höflich, als er den Posten erreicht hatte. Der schien nicht zu verstehen, sondern zeigte mit ausgestrecktem Arm in Richtung der Toiletten. »Nein, nein.« Heim schüttelte den Kopf. »Wir brauchen einen Sanitäter. Medizinische Hilfe. Sanitäter«, wiederholte er dann und zeigte auf Brighid McNamara.
Der Mann sagte irgendetwas zu einem unsichtbaren Gesprächspartner. Was war das für eine Sprache? Klang irgendwie osteuropäisch. War das Polnisch? Oder Tschechisch? Oder vielleicht Russisch? Da er keine dieser Sprachen beherrschte, konnte er nur raten.
Der Mann nickte seinem unsichtbaren Gesprächspartner zu. »Da!«, sagte er. Dieses Wort kannte der Professor. Das war Russisch und bedeutete »ja«.
Der Mann im Kampfanzug winkte ihn mit einer Geste seiner Maschinenpistole zurück an seinen Platz.
Nach ungefähr fünf Minuten sah Peter Heim, wie eine Gruppe von drei Mann sich ihnen näherte. An der Spitze dieser Gruppe lief der Mann mit der Nummer eins auf dem Helm.
Der Mann, der am Sonntag die Ansprache gehalten hatte.
Jetzt war bereits Mittwoch.
Die zurückliegenden Tage kamen Professor Peter Heim vor wie ein absurdes Theaterstück mit Überlänge.
*
Das Kriegsglück war ihm hold. Er würde sich gar keinen fingierten Anlass für die Kontaktaufnahme
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