Oktoberfest
Augen.
Verschwinde, Nacht!
Geht unter, Sterne! Geht unter, Sterne!
Bei Sonnenaufgang werde ich siegen!
Ich werde siegen!
Ich werde siegen!
22:33 Uhr
An Bord der Yakovlev zählte die Uhr des Rechners im Gefechtsstand rückwärts. Noch siebenundzwanzig Minuten bis zur Aktivierung der Befehlssequenz »Letzter Gruß«.
Tick. 26:59.
Tick. 26:58.
Tick. 26:57.
17
Ü ber ihnen keine Sterne mehr.
Kein Mondlicht.
Als sie durch die Wolken stürzten, war um sie schlagartig Finsternis. Der Regen, der plötzlich gegen das Glas ihrer Schutzbrille schlug, nahm Amelie auch noch die letzte Sicht. Sie verlor jegliches Zeitgefühl.
Dann der scharfe Ruck, als sich der Fallschirm öffnete.
Der Mann hinter ihr, mit dem sie durch Gurte verbunden war, hatte Mühe, ihren Fall zu kontrollieren. Immer wieder erfassten Böen den Schirm und wirbelten sie durch die Luft. Sie verlor jede Orientierung.
Die fluoreszierenden Schaumkronen sah sie erst Sekunden, bevor der Mann hinter ihr die Schäkel öffnete und die Gurte löste. Die Atemmaske wurde ihr vom Gesicht gerissen. Aus ungefähr sieben Metern Höhe klatschte sie ins Wasser. Der Mann, noch immer am Fallschirm, wurde vom Wind in die Dunkelheit getragen. Sie ging unter, ruderte panisch mit Armen und Beinen, verschluckte sich.
Zischend entlud sich die Gaspatrone ihrer Rettungsweste. Der Auftrieb riss ihren Kopf an die Oberfläche. Während das Salzwasser sie immer wieder würgen ließ, schnappte sie verzweifelt nach Luft. Und obwohl sie einen wasserdichten Schutzanzug trug, begann die Kälte des Meeres, augenblicklich durch die Schichten ihrer Kleidung zu kriechen.
Mit der Dünung trieb sie von Berg zu Tal zu Berg. Auf den Wellenkämmen reckte sie den Kopf so weit wie möglich aus dem Wasser, versuchte, sich zu orientieren, irgendetwas zu erkennen. Nichts. Nur der Regen prasselte gleichmäßig herab. Ein anderes Geräusch mischte sich dazu. Dumpf. Rhythmisch. Das Rauschen einer Meeresbrandung. Sie befand sich in Küstennähe. Land! Sie zog die Schutzbrille ab und kniff die Augen zusammen.
Kleine Lichter tanzten auf den Wellen. Sie schienen weit entfernt zu sein. Sie sah sie aufleuchten und wieder verlöschen. Nach und nach schienen es mehr zu werden. Erst zehn, dann zwanzig. Dreißig vielleicht oder sogar noch mehr.
Sie drehte sich wassertretend um die eigene Achse. Nach einer halben Drehung sah sie ein helles Licht über dem Horizont. Das Licht blinkte. Nein, das Licht rotierte durch die regnerische Nacht.
Der Lichtfinger eines starken Scheinwerfers.
Ein Leuchtturm.
Später sollte sich Amelie Karman erinnern, dass es das Licht dieses Leuchtturms gewesen war, das sie beschließen ließ, zu kämpfen. Sie würde nicht sterben. Nein, der Tod würde warten müssen. In Rückenlage schwamm sie mit energischen Beinzügen dem Licht entgegen. Alle zehn Züge drehte sie kurz den Kopf, mit ihren Blicken den Leuchtturm suchend.
Als sie das schwarze Schlauchboot bemerkte, war es nur noch wenige Meter von ihr entfernt. Kräftige Arme griffen nach ihrem Gurtzeug und hoben sie über die Bordwand. Sie versuchte vergeblich, sich zu wehren. Im Boot überkam sie erneut Übelkeit. Ihr Magen verkrampfte sich.
»Bald haben wir es geschafft, Amelie.« Die Stimme klang sanft. »Dann kannst du dich erholen. Es wird dir gefallen dort, wo wir hingehen.«
Hätte sie es nicht besser gewusst, sie hätte geglaubt, Zärtlichkeit in dieser Stimme zu hören.
*
Wolfgang Härter erreichte den Bataillonsgefechtsstand. Er zückte seinen Dienstausweis und verlangte, unverzüglich zum Stadtkommandanten vorgelassen zu werden. Ein Feldwebel begleitete ihn in das Kommandozelt.
»Müller mein Name. Bundeskriminalamt. Herr Moisadl, ich müsste Sie kurz unter vier Augen sprechen.«
Moisadl nickte. »Sie haben es gehört, meine Herren. Bitte lassen Sie uns für einen Moment allein.« Der General sah die anderen Offiziere an, die sich in dem Zelt befanden. Die Männer verließen den Raum. Moisadl ging zum Eingang, um sich zu vergewissern, dass die Zeltplanen blickdicht abschlossen und niemand vor dem Zelt lauschte. Dann drehte er sich herum. Sein Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen.
»Wolf, alter Eisbrecher, alles im Lot auf dem Boot?« Er kam dem Kapitän entgegen, gab ihm die Hand und schlug ihm mit der anderen kräftig auf die Schulter.
»Xari, altes Steigeisen, alles entspannt in der Wand?« Härter gab den Schulterschlag mit gleichem Schwung zurück. In seinem Gesicht deutete sich ein Lächeln
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