Oktoberfest
belebter Ort. Dort waren Überwachungskameras.
Der Mann schlug vor, ein Taxi zu nehmen, aber Jestschew bestand darauf, mit dem Bus zu fahren.
Jestschew hatte eben Jensen in den sicheren Tod geschickt, zu einem alten Bekannten. Der war unehrenhaft aus der Armee entlassen worden, wegen fortgesetzter Gewalttätigkeit und Insubordination. Im Kampf war er ein guter Kamerad, doch für diesen Mann war die ganze Welt ein einziges Schlachtfeld geworden. Wenig später hatte sich der Mann nach Deutschland abgesetzt. Hier war er von gewissen russischen Kreisen mit offenen Armen empfangen worden. Von Leuten, die seine speziellen Qualifikationen zu schätzen wussten.
Was für eine Ironie, dachte Jestschew, dem korrupten Jensen den Henkerslohn für seine eigene Hinrichtung mitzugeben. Am Telefon hatten sein Bekannter und er noch gemeinsam darüber lachen müssen.
Aber Glücksspiel ist ein schlimmes Laster, Jensen hätte eben seine Finger von den Karten lassen sollen. Jestschew lächelte und besah sich sein eigenes Spiegelbild in der dunklen Scheibe des Busses, der sie beide Richtung Hauptbahnhof fuhr.
Am Hauptbahnhof stiegen er und der Mann an verschiedenen Türen aus und gingen auf getrennten Wegen zu den Schließfächern.
Besorgt hielt Jestschew Ausschau nach Überwachungskameras, die ihm Sicherheit geben könnten. Ah, da waren sie ja. Er atmete auf. Meine Güte, er machte sich verrückt.
Der General war ein Ehrenmann.
Immer gewesen.
Der Mann betrat den Gang, wo sich das Schließfach mit der vereinbarten Nummer befand. Jestschew kam von der anderen Seite auf ihn zu.
Sie waren allein.
Jestschew sah zur Kamera an der Decke am Ende des Ganges. Beruhige dich, sagte er sich. In wenigen Minuten bist du reich. Seine Finger tasteten trotzdem nervös nach der Makarov.
Die beiden Männer standen sich gegenüber. In diesem Moment fragte sich Jestschew, wieso der Mann eigentlich mitgekommen war und ihm nicht einfach den Schlüssel gegeben hatte.
Jähes Verstehen durchzuckte sein Gehirn.
Seine Hand fuhr zu der Waffe in seinem Hosenbund.
Da schoss die rechte Hand des Mannes vorwärts. Daumen, Zeige- und Mittelfinger waren in Form eines gleichschenkligen Dreiecks nach vorne gerichtet. Die drei Fingerspitzen trafen Jestschews Brustkorb genau auf dem Herzen und vollzogen im Moment des Auftreffens eine kurze, schnelle Drehung.
Der Mann fing den toten Kapitän auf und ließ ihn behutsam in eine sitzende Position gleiten. Gemessenen Schrittes verließ er den Hauptbahnhof. »Man kann so viele umbringen, wie man will.« Er schüttelte langsam den Kopf, während er mit sich selbst sprach. »Die Schwachköpfe sterben einfach nicht aus.«
In den Augen des Mannes lag ein seltsames Flackern.
Die durchtrennten Kabel an der Rückseite der Überwachungskamera hingen herab wie Galgenstricke.
*
Es gab keinerlei Verbindung mehr zwischen vier riesigen Hochseecontainern, die angeblich mit Bananen gefüllt waren, und einem Schiff namens »Gagarin 3«. Auch nicht zum Hafen von Kaliningrad. Keinerlei Verbindung mehr.
Der Mann ging in sein Hotel zurück.
Er dachte an die Frau auf dem Foto.
Die Fahrer der Lastzüge würden wegen des Nachtfahrverbots jetzt in ihren Kabinen liegen und schlafen. Oder fernsehen. Karten spielen. Was auch immer. Morgen früh wären sie wieder auf der Autobahn, strebten ihrem Ziel entgegen.
Richtung Süden.
3
E s war der erste Montag im Oktober des Jahres 2003. Werner Vogel war erschöpft. Die letzten zwei Wochen hatten ihm alles abverlangt. Weder er noch sein Partner Karl Romberg waren viel zum Schlafen gekommen.
Aber sie hatten es geschafft. Ihr erstes Oktoberfest lag hinter ihnen. Eine Zentnerlast fiel von ihm ab. Sein Atem ging freier.
Die Sache mit den Kühltransportern war gut angelaufen. Sehr gut sogar. Viel besser als gedacht. Das konnte man in ihren Büchern nachlesen. Hirschmoser hatte Wort gehalten.
Er hielt sich an alle Vereinbarungen.
Er zahlte pünktlich.
Und seit dem Vertragsabschluss waren die Wagen der Firma täglich im ganzen Münchner Umland unterwegs. Sie holten die frische Ware ab und lieferten sie noch am gleichen Tag denen, die sie benötigten.
Erste herbstliche Kühle lag in der Luft. Vogel war unterwegs, um Romberg abzuholen. Josef Hirschmoser gab am heutigen Montagabend ein Festessen für alle, die für ihn auf dem Oktoberfest tätig gewesen waren. Genauer gesagt: für alle, die in verantwortlicher Position für ihn tätig gewesen waren.
Mittlerweile war Vogel bei Rombergs kleinem
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