Oktoberfest
holen. Sie hatten sich in einer Hausruine verschanzt. Dort lagen sie seit mittlerweile achtzehn Stunden unter Feuer. Der Gegner hatte sie systematisch in diese Stellung getrieben. Die Sprengköpfe der RPG-7 heulten mittlerweile von allen Seiten heran.
Ein erneuter Einschlag ließ das Haus erzittern.
Staub rieselte auf Blochin herab.
»Das MG, das nach Osten sichert, hat keine Munition mehr, Polkownik Blochin«, meldete ein Hauptmann. Blochin antwortete sofort. »Wir haben noch sechs Kisten. Nehmen Sie zwei mit. Sagen Sie den Männern, sie sollen Munition sparen. Nur auf klar erkennbare Ziele feuern.«
Blochin ging in den Raum, wo die Verletzten und Sterbenden lagen. Er hatte noch fünfzig kampftaugliche Männer. Dreißig waren verwundet. Zehn bereits tot. Und es würden noch mehr werden, wenn nicht bald Hilfe käme.
Die hässliche Fratze des Krieges grinste ihn hämisch an.
Vor zwölf Stunden hatte er Major Iljuschin losgeschickt. Weit war der mit seinen Männern allerdings nicht gekommen. Er saß nur einige Häuserblocks entfernt ebenfalls fest. Granatwerfer deckten Iljuschins Einheit mit Sperrfeuer ein. Die kleinen Funkgeräte, die sie dabeihatten, ermöglichten es ihnen, miteinander zu sprechen. Aber der große Sender, der stark genug gewesen wäre, das Hauptquartier zu erreichen, war kaputtgegangen.
Einfach so.
Dabei hätte ein Funkspruch genügt. Durch den Einsatz von Kampfhubschraubern und Panzern wäre ihr Problem schnell gelöst.
Es war zum Haareraufen.
Blochin schritt die Reihen der Verwundeten ab. Sie lagen auf Decken oder auf der bloßen Erde. Manche waren bewusstlos. Andere murmelten im Morphiumrausch wirr vor sich hin. Diejenigen, die bei Bewusstsein waren, erkannten ihn. Viele Legenden erzählte man sich in der Armee über ihren Befehlshaber.
Er war schon oft in scheinbar ausweglosen Situationen gewesen. Und er war immer rausgekommen. Zuversicht leuchtete in den Augen der Männer auf. Blochin nickte den Verwundeten zu. Seine Blicke suchten seinen medizinischen Offizier.
Ein junger Oberleutnant, dem ein Granatsplitter den linken Arm am Ellbogen abgerissen hatte, hob seine unversehrte Hand. Blochin ging zu ihm. Er kniete sich neben den Mann auf den Boden.
»Polkownik Blochin«, begann der Mann mit schwacher Stimme, »ich möchte, dass Sie zu meiner Frau gehen. Sagen Sie ihr, dass ich tapfer gekämpft habe. Sagen Sie ihr und meinen Kindern, dass ich sie liebe.« Der Atem des Mannes ging flach. Er presste die Worte stoßweise hervor.
»Das werden Sie ihnen gefälligst selbst sagen, Starschi Leitenant.« Blochin hob die Stimme. »Haben Sie mich verstanden? Sie sterben erst, wenn ich es Ihnen befehle.« Er drückte die Hand des Mannes. Der verwundete Oberleutnant nickte.
»Ich werde dem Arzt sagen, er soll nach Ihnen sehen. Er soll Ihnen Schmerzmittel geben, damit Sie sich erholen können.«
Blochin erhob sich.
Er nickte auch anderen Männern zu, während er den Raum durchquerte. Er sah seinen medizinischen Offizier, Dr. Wladimir Kusnezow, wie er hinter einer aufgehängten Decke einen Verband anlegte. Hinter dieser Decke stand ein Tisch, der mit einem gelblichen Desinfektionsmittel bestrichen war.
Der provisorische Operationstisch.
Eine weitere Granate krachte in die Ruine. Sie flog durch eines der glaslosen Fenster im zweiten Stock. Der Sprengkopf detonierte in einem Raum, in dem einer der Scharfschützen in Stellung gelegen hatte.
Ein Sanitäter hängte sich seine Verbandtasche um und nahm eine Tragbahre. Er winkte einem Leichtverwundeten zu, mitzukommen. Von der Straße hörte man die Feuerstöße einer Kalaschnikow. Blochins Männer erwiderten das Feuer.
Dr. Kusnezow beendete seine Arbeit an dem Verband und wandte sich Blochin zu. »Lange halten wir das nicht mehr durch. Mir geht das Verbandszeug aus. Ich habe keine Antibiotika mehr. Auch das Morphium wird langsam knapp.«
»Wenn nur dieses verdammte Funkgerät funktionieren würde. Oder wenn Iljuschin weiterkäme. Das Ganze ist ein ziemlicher Schlamassel, mein lieber Doktor. Aber in einem Monat werden wir darüber lachen.« Bestimmtheit schwang in seiner Stimme mit. »Ach, und geben Sie dem Oberleutnant etwas Morphium. Die Schmerzen machen ihm schwer zu schaffen. Er glaubt, er würde bald sterben.«
»An seiner Wunde wird er nicht sterben. Ich habe den Arm amputiert. Der Verband hält. Keine Nachblutungen. Aber wenn wir nicht bald Desinfektionsmittel bekommen, kann das eine böse Entzündung werden. Ich werde ihm Morphium geben,
Weitere Kostenlose Bücher