Oktoberfest
hatte den rechten Oberschenkel aufgerissen.
»Du bist spät dran, Kamerad! Der Kaffee wird kalt«, sagte Blochin, während er den Mann hochhob, als wäre der ein Kind. In kniender Haltung legte er sich den sicherlich achtzig Kilo schweren Körper auf die Schultern.
Noch im Aufstehen rannte der Oberst wieder los. Der Mann auf seinen Schultern zog scharf die Luft ein. »Zähne zusammenbeißen, Kamerad!«, brüllte Blochin, um den Lärm der Waffen zu übertönen.
Der Krach des ununterbrochen feuernden Maschinengewehrs war ohrenbetäubend. Die Feuerstöße der Sturmgewehre und das Fauchen eines RPG-Raketenwerfers vervollständigten die Symphonie des Todes.
»RPG auf deiner linken Seite!«, brüllte ihm jemand aus der Hausruine entgegen. Blochin änderte die Richtung, drehte nach rechts ab. Einige Sekunden später schlug die Rakete ein. Der Sprengkopf detonierte krachend. Heiß traf ihn die Druckwelle der Explosion. Splitter sirrten um ihn herum.
Er hetzte weiter.
Noch vier Schritte, vielleicht fünf.
Da traf ihn ein Schlag im Rücken. Blochin stolperte, fast wäre er vornübergefallen. Mit zwei schnellen Schritten fand er jedoch das Gleichgewicht wieder. Glühender Schmerz breitete sich über seinem rechten Schulterblatt aus.
Als er die Türöffnung erreichte, schickte er ein Stoßgebet des Dankes an den Konstrukteur seiner schweren Schutzweste. Das würde ein schöner, großer, tiefblauer Fleck werden. Aber mehr nicht.
Dann war er im Haus.
In Deckung.
Die Männer stellten das Feuer ein. Die Stille klingelte in ihren Ohren. Beißender Pulverdampf waberte in Schwaden durch den Raum. Der glühend heiße Lauf des MGs knackte, während der Stahl abkühlte.
Blochin legte den Major auf die Tragbahre, die seine Sanitäter bereitgestellt hatten. Die Hose des Majors war zerrissen und die Wunde am Oberschenkel blutete. Das Blut floss gleichmäßig, nicht pulsierend. Kein großes Gefäß verletzt, registrierte Blochin erleichtert.
Der Mann sah ihn an, dann griff er nach der Hand des Obersten.
Ihre Augen trafen sich.
Heller Fels.
»Danke, Kamerad«, sagte der Mann mit leiser Stimme, bevor die Sanitäter ihn ins Lazarett trugen.
Ein Soldat reichte Blochin eine Feldflasche mit Wasser. Er trank mit gierigen Schlucken. Als er die Feldflasche zurückgab, bemerkte er, dass alle Männer ihn ansahen. Einer fing zu klatschen an. Die anderen fielen ein. In den Applaus hinein skandierten sie ihren Schlachtruf.
»Über uns sind nur die Sterne!«, schallte es durch die Hausruine. Zuversicht erfasste die Männer.
Blochins Gedanken wanderten zu seinem Vater. »So wie ich dein Vater bin, so ist der Offizier der Vater der ihm anvertrauten Männer«, hatte der ihm einmal gesagt. Blochin nickte seinen Männern zu. Seine Schulter schmerzte. Er machte sich auf den Weg zum Lazarett, um nach dem Major zu sehen.
Eine weitere Rakete schlug in das Haus ein und ließ die Wände beben.
Es war kurz nach Mittag.
Der Wind nahm zu und trieb den Staub durch die Straßen der vom Krieg gepeinigten Stadt.
*
Das »Rue des Soleils« war ein kleines, sehr ambitioniert geführtes Restaurant. Es lag in einem Wohngebiet im Münchner Stadtteil Haidhausen. Parkplätze waren hier so selten wie eine professionelle Prostituierte in den päpstlichen Privatgemächern. Deshalb und wegen des Weines, den er trinken würde, war Werner Vogel mit dem Taxi gekommen. Zwar hätte er Amelie gerne mit seinem Auto beeindruckt, aber dafür war bei weiteren Treffen hoffentlich noch Gelegenheit.
Es war ohnehin nicht die Jahreszeit, offen mit einem Cabrio zu fahren. Schon gar nicht abends, wenn die Sonne untergegangen war.
Werner Vogel betrat das Lokal eine Viertelstunde vor der vereinbarten Zeit. Er wollte Amelie auf keinen Fall warten lassen.
»Bon soir.« Ein Kellner in einer weißen Schürze trat auf ihn zu. »Haben Sie reserviert?« Der französische Akzent war so stark, dass er aufgesetzt wirkte.
»Ja, ich hatte um einen schönen Tisch für zwei Personen gebeten. Auf den Namen Vogel.«
Der Kellner zog kurz die Augenbrauen hoch. Dann ging er zum Tresen, auf dem das aufgeschlagene Buch mit den Reservierungen lag.
»Ah oui, Monsieur Vogel. Wenn Sie mir folgen wollen?« Der Kellner ging durch das Lokal und wies mit der Hand auf einen Tisch am Fenster. »Ist dieser Tisch schön genüg?«, fragte der Kellner mit einem leicht spöttischen Unterton. Werner Vogel fragte sich inzwischen, ob er Amelie nicht besser in ein Lokal von Hirschmoser eingeladen hätte. Dort
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