Oktoberfest
eine Postkarte aus.
»Ah?«, fragte Vogel. »Mal wieder ein Preisausschreiben?«
Romberg hob nur kurz den Blick. »Ich bin mir ganz sicher, dass ich eines Tages gewinnen werde.«
»Worum geht es denn diesmal? Ferien auf dem Bauernhof?« Vogels Stimme hatte einen leicht spöttischen Unterton. Als er seinen Partner näher kennengelernt hatte, hatte er festgestellt, dass er bei jedem Preisausschreiben mitmachte. Das war eine Marotte von ihm. Gewonnen hatte er allerdings noch nie.
Seither entspann sich zwischen den beiden jedes Mal, wenn Romberg ein neues Preisausschreiben ausfüllte, dasselbe Gespräch. Eine Art Spiel.
»Gibt es wieder einen Motorroller zu gewinnen? Kauf dir doch einen, wenn du einen haben willst«, sagte Vogel bissig.
»Darum geht’s doch nicht«, antwortete Romberg mit einer übertrieben beleidigten Stimme. »Es geht darum, zu gewinnen«, fuhr er mit Nachdruck fort, während er seinen Namen und seine Adresse auf die Postkarte schrieb. »Und wenn es um ein Freiabonnement der Fachzeitschrift für Rasenpflege ginge. Es geht nur darum, zu gewinnen. Ich bin mir ganz sicher, dass ich eines Tages gewinnen werde. Apropos gewinnen …« Romberg hob den Blick. »Wie ist das denn gestern mit der Dame ausgegangen? Du warst ja ziemlich engagiert. Meinem Eindruck nach …«
»Dir entgeht aber auch nichts.« Vogel ging zur Kaffeemaschine und füllte Pulver in den Filter. »Eine interessante Frau. Journalistin. Hat gerade bei der Lokalredaktion der größten deutschen Boulevardzeitung angefangen.«
»Und sie gefällt dir?«
»O ja, sehr.« Die unverhohlene Begeisterung in seiner Stimme ließ Vogel betreten zu Boden blicken. Er wurde rot.
»Du bist im besten Heiratsalter. Also häng dich rein.«
»Mal sehen, Karl. Ich weiß nicht, ob ein Spediteur das ist, wovon eine junge Journalistin träumt. So eine will doch lieber einen Rechtsanwalt. Oder einen Zahnarzt. Oder einen Konzertpianisten.« Vogel machte eine kurze Pause. »Aber wir haben uns gestern wirklich gut verstanden.« Er versank in der Erinnerung an den vergangenen Abend. »Mal abwarten. Kann ja auch am Bier gelegen haben.«
Die Kaffeemaschine blubberte laut.
»Aber du musst sie anrufen, hörst du? Nicht wieder drei Wochen warten und dann sagen, jetzt erinnert sie sich eh nicht mehr. Ruf doch gleich jetzt an. Wie heißt sie denn?«
»Amelie heißt sie. Amelie Karman.« Vogels Augen bekamen einen verträumten Ausdruck, als er den Namen aussprach.
»Hübscher Name. Bei einer Frau, die wie ein Oldtimer heißt, müsstest du doch gute Chancen haben.« Romberg grinste seinen Juniorpartner an. »Du rufst jetzt an«, sagte er bestimmt. »Wenn der Kaffee durchgelaufen ist, werden wir auf eure erste Verabredung anstoßen.«
Und so kam es. Werner verabredete sich mit Amelie für Donnerstagabend in einem feinen französischen Fischlokal im Stadtteil Haidhausen. Stolz kam er aus seinem Büro zurück.
»Sie klang so, als ob sie sich wirklich gefreut hätte, dass ich angerufen habe. Mann, Karl, jetzt heißt es: Daumen drücken. Ich werd verrückt, wenn das klappen würde. Mein Gott, und sie ist so hübsch. Ich hätte nie gedacht, dass ich bei so einer Chancen habe.«
»Ja, ja, du bist eben viel zu bescheiden. Du kennst deine eigenen Qualitäten nicht und traust dir zu wenig zu.« Romberg goss den Kaffee in zwei Tassen. »Das gilt allerdings nicht für den geschäftlichen Bereich. Da bist du manchmal richtig dreist«, fügte er feixend hinzu. Er reichte Vogel die Tasse.
»Dann wollen wir mal hoffen, dass das was wird.«
Sie stießen an.
Romberg sah seinem Partner in die Augen. Wenn ihn seine Menschenkenntnis nicht täuschte, hatte es Werner Vogel schwer erwischt.
»Und du kannst dich darauf verlassen, dass ich dir die Daumen drücken werde.«
Am nächsten Tag war auf der Seite mit dem regionalen Klatsch ein großer Bericht über Hirschmosers Fest. In der langen Liste der Namen prominenter Gäste entdeckte Werner Vogel auch seinen eigenen.
Die Überraschung wich dem Verstehen.
Werner Vogel musste lächeln.
Das war ein gutes Omen.
*
Grosny, Tschetschenien, 1994
Blochin rannte.
Er achtete nicht auf die Kugeln, die neben, vor und hinter ihm einschlugen. Starr richtete er seinen Blick nach vorne. Durch den Rauch der Nebelgranaten fixierte er den Körper des Mannes, der auf der Straße lag. Als er ihn erreicht hatte, erkannte er sofort, dass der Mann noch bei Bewusstsein war. Er trug die Uniform eines Majors der Fernmeldetruppen.
Ein Granatsplitter
Weitere Kostenlose Bücher