Oktoberfest
hatte der Leiche einen Fetzen Papier in die lippenlose, verkohlte Mundhöhle gesteckt. Darauf stand mit ungelenker Schrift: »Freiheit für Palästina«.
Daraufhin wurde die Angelegenheit an den Auslandsgeheimdienst BND weitergegeben. Der begann im Nahen Osten mit Nachforschungen.
*
Karl Romberg war vom Flughafen noch einmal ins Büro gefahren. Aus seinem Fenster konnte er sehen, wie vier Zugmaschinen mit leeren Anhängern auf das Firmengelände fuhren. Ah, die Fuhre aus Bremerhaven, dachte er.
Er ging auf den Hof hinaus, um die Männer zu begrüßen. Der gute Kontakt zu seinen Angestellten war ihm sehr wichtig.
»Hallo!«, rief er den Männern zu, die aus den Fahrerhäusern kletterten. »Alles gutgegangen?«
»Servus, Chef!« Der Fahrer der ersten Zugmaschine gab ihm die Hand. »Keine Probleme, alles glattgelaufen.« Der Fahrer hielt kurz inne. »Aber komische Leute gibt’s ja schon. Wir haben gerade die vier Container mit Bananen bei einem Betrieb abgeliefert, der eher den Eindruck machte, als würden die da Flugzeuge bauen.« Der Fahrer schüttelte den Kopf.
»Nicht unser Bier«, sagte Romberg und winkte ab. »Und wo geht’s morgen hin?«
»Budapest. Maschinenteile nach Frankfurt.«
»Na, dann mal gute Fahrt.«
Romberg winkte den anderen Männern zu, die sich gerade voneinander verabschiedeten, und ging zurück in Richtung Büro.
*
Mauritius, Hotel »Le Saint Geran«
Der kleine Ort Belle Mare schmiegte sich in eine malerische Bucht. Das mondäne Hotel, das Karl für Werner und Amelie ausgewählt hatte, lag etwas außerhalb des Städtchens, inmitten von Palmen und anderer tropischer Vegetation.
Ein eher kleines Haus mit einhunderteinundachtzig Zimmern. Das luxuriöse, modern eingerichtete Restaurant des Hotels befand sich etwa einhundert Meter vom Strand entfernt. Die großen Panoramafenster waren geöffnet. Glitzernd lag das Meer vor ihren Augen. Eine frische Brise wehte von See und trug einen Hauch von Salz mit sich. Leises Brandungsrauschen drang an ihre Ohren.
Kurz nach der Landung hatten sie noch Witze über ihre neue Umgebung gemacht: ein Realität gewordener Reiseprospekt. Die Farben und das Licht waren so ungeheuer intensiv, dass es übertrieben wirkte.
»Das sieht hier ja aus wie in einem Comic. Da hat doch ein Grafiker auf LSD an der Farbsättigung herumgepfuscht«, hatte Amelie konstatiert.
»Die ganze Insel ist übrigens nach Plänen von Walt Disney errichtet worden«, hatte Werner im Ton eines Fremdenführers ergänzt.
Aber bereits nach fünf Tagen waren Ironie und Sarkasmus vergangen. Der Zauber dieser Insel hatte den Alltag von ihnen abfallen lassen wie zerschlissene Kleidungsstücke. Sie waren mittlerweile seit acht Tagen hier. Und noch immer empfanden sie die Welt, die sie umgab, als unwirklich.
Sie saßen einander gegenüber an einem kleinen Tisch des Restaurants. Die Gläser, gefüllt mit einem exzellenten Weißwein, waren beschlagen. Kleine Tropfen Kondenswasser perlten an den teuren Kristallglaskelchen herab. Sie hatten ihr Abendessen bereits beendet.
Der Küchenchef des Hotels war ein Schüler des berühmten Alain Ducasse, dem wahrscheinlich besten Koch der Welt und hervorragenden Lehrmeister. Eine Einschätzung, die Werner und Amelie nur bestätigen konnten. Beide hatten andächtig die unglaublichen Kompositionen genossen.
Ein Fest für ihre Geschmacksnerven.
Eine ungekannte sinnliche Erfahrung.
Vor wenigen Minuten war die Sonne blutrot im Meer versunken. Der weite Himmel leuchtete nun in den unglaublichsten Farben. Im Osten schon nachtschwarzer Samt. Nach Westen hin in tiefes Blau verlaufend, das in ausgereiztes Rosa überging. Das Rosa in feurigen Schlieren dunkler werdend bis zu einem besinnungslos satten Rot. Direkt über dem Horizont brannte sich schließlich ein schmaler Streifen glühendes Magma in ihre Netzhäute.
»Wenn wir in den Ferien am Meer waren, hat mein Vater immer gesagt, Sonnenuntergänge wären die Lightshow Gottes. Als Kind habe ich nie verstanden, was er damit gemeint hat. Später, auch noch nach der Pubertät, habe ich ihn dann für einen sentimentalen alten Knacker gehalten, der das Leben nur noch an sich vorbeiziehen lässt.« Amelie schluckte. »Aber jetzt verstehe ich ihn.« Sie hatte unbewusst zu flüstern begonnen, als könnte ein zu lautes Wort die Magie des Augenblicks zerstören.
»Das verstehe ich. Dein Vater scheint ein weiser Mann zu sein.« Werner nickte kaum merklich. »Wenn es Gott wirklich gibt, dann muss er gelächelt haben,
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