Oktoberfest
habe ich ja trotzdem.«
»Das wäre nicht nötig gewesen«, wiederholte Werner Vogel langsam, noch immer überrascht.
»Morgen kannst du dir am Nachmittag freinehmen«, sagte Romberg. »Mach doch mit Amelie einen Ausflug. Ich halte hier die Stellung.«
»Na gut.« Verdutzt schüttelte Werner den Kopf. »Vielleicht gehen wir auf die Wiesn. Am Sonntag ist es nicht ganz so voll.«
Das Telefon klingelte.
»Die Arbeit ruft, mein lieber Freund«, sagte Romberg und zeigte auf den Apparat. »Willst du nicht rangehen?«, fragte er und ging in sein eigenes Büro.
Es war in der Firma allgemein bekannt, dass Romberg während der Wiesn-Zeit in Urlaub fahren würde. Die Angestellten kannten auch die Umstände und nahmen ihrem Chef die Entscheidung nicht übel. So waren auch die Mitarbeiter reichlich erstaunt, als sie Karl Romberg am Sonntagmorgen ins Büro gehen sahen.
Dass der Chef offensichtlich schlechte Laune hatte, irritierte seine Angestellten zusätzlich. Er sprach in einem unwirschen Ton mit ihnen und behandelte sie herablassend.
»Der Alte hat ja eine Scheißlaune. Er ist doch sonst immer so ausgeglichen. Heute wirkt der irgendwie wie ausgewechselt«, sagte einer der Fahrer, der gerade einen deftigen Rüffel bekommen hatte.
»Oh, Mann! Bloß weil der das mit seinem Pflichtgefühl nicht geschafft hat, in Urlaub zu fahren. Und wir kriegen’s jetzt ab!«, erwiderte ein Kollege. »Wenn das jetzt die nächste Woche so weitergeht, werden wir uns alle noch wünschen, er wäre geflogen.«
*
Am Sonntagnachmittag um halb sechs fuhr ein weiterer Konvoi von vier Kühllastern auf die Theresienwiese. Im Fahrerhaus des ersten Wagens saß Romberg selbst.
Er hielt bei den Sperren, die von Polizisten bewacht wurden. Der diensthabende Beamte erkannte ihn. »Ah, Herr Romberg! So spät noch so viel Nachschub?«
»Ja, das ist die letzte Fuhre für heute. Und wenn wir heute ein bisschen mehr bringen, dann müssen wir morgen nicht so früh wieder raus.«
Der Polizist nickte verständnisvoll und öffnete die Schranke. Die vier Kühllaster passierten die Absperrung.
Alois Kroneder, der Polizeichef des Oktoberfestes, folgte den Lastwagen auf den Bildschirmen in der Wiesn-Wache. Sie fuhren zum Zelt der Benediktiner-Brauerei. Drei fuhren rückwärts in die schmalen Gassen auf beiden Seiten des Zeltes. Zwei links, einer rechts. Einer blieb an der Rückseite des Zeltes stehen.
Dann wurden die Bildschirme dunkel.
5
I n dem riesigen Zelt der Benediktiner-Brauerei ging es hoch her. Das Zelt war an diesem Sonntagnachmittag nicht ganz gefüllt, aber gut zwei Drittel der Plätze waren mit singenden, trinkenden und lachenden Menschen besetzt.
Manche sah man durch den Alkohol in tiefsinnige Gespräche verwickelt, einige in heftigen Bemühungen um Vertreter des anderen Geschlechts. Die Kapelle hatte eine Pause gemacht, begann jetzt jedoch wieder zu spielen.
Die ersten Akkorde von Fürstenfeld erklangen. Einige der Besucher des Zeltes stellten sich auf die Bierbänke, schunkelten und grölten den Refrain lauthals mit.
I will wieda hoam …
Professor Peter Heim war mit seinen Mitarbeitern und Doktoranden auf das Oktoberfest gegangen.
Betriebsausflug, sozusagen.
Ins Benediktiner-Zelt.
Ehrensache.
Das hatte bei ihm schon Tradition. Seit er den Lehrstuhl für Kulturtheorie an der Universität München übernommen hatte, machte er diesen Ausflug jedes Jahr. Nun saßen sie zu acht an einem Biertisch, und der Professor dozierte, von drei Maß Bier beflügelt.
»Was man hier sehen kann«, sagte er mit geübter Vortragsstimme und wies mit einer ausladenden Geste durch das Zelt, »ist so etwas wie die Heimat der Weltgesellschaft. Hierher kommen sie aus allen Ländern und allen Schichten. Und sie einigen sich inexplizit auf einen kulturellen Kanon des Umgangs miteinander.« Der Professor hielt inne. »Aber man kann auch die Konfliktlinien erkennen. Denken Sie daran, wer hier nicht herkommt. Muslime müssen qua ihrer religiösen Überzeugung dieses alkoholzentrierte Beisammensein als degeneriert empfinden. Dadurch, dass durch die Essenz dieses Festes ganze Kulturkreise ausgegrenzt werden …« Der Professor brach ab.
»Die Heimat der Weltgesellschaft«, wiederholte Dr. Robert Hermanns, einer seiner Assistenten, etwas zu laut. »Das haben Sie mal wieder schön gesagt.« Seine Aussprache war bereits etwas undeutlich, was nach vier Maß Bier allerdings niemanden am Tisch überraschte. Dr. Hermanns trank für gewöhnlich nur wenig Alkohol.
Peter
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