Oktoberfest
augenblicklich in den Marschmodus über.
Die kybernetischen Regelkreise ihrer Zielsuchelektronik erkannten die Wärmesignatur des Hubschraubers klar und deutlich. Zusätzlich erhielt ihr Leitwerk noch die Daten der Radarpeilung. Vor dem dunklen Hintergrund des bewölkten Nachthimmels war das weiße Feuer des Triebwerksstrahls gut zu erkennen. Ein heller Knall war zu hören, als die Lenkwaffe die Schallmauer durchbrach.
»Der Donnervogel hat das Ziel erfasst, General!«
»Gefechtskopf scharf machen!«
Der Lichtgriffel glitt in schnellen Bewegungen über das Grafiktablett.
»Gefechtskopf ist scharf!«
Blochin blickte unverwandt auf den Fernsehschirm, der den Start der Rakete live übertrug. Mit dem Finger deutete er zu dem Lichtpunkt auf dem Bildschirm.
»Der Start ist doch jedes Mal wieder ein erhabenes Schauspiel.« Einige Sekunden versank er in Schweigen. »Ist ein Jammer, mit so einem riesigen Vogel ein so kleines Ziel zu bekämpfen.« Blochin lachte blechern. »Wenigstens können wir uns ab jetzt der ungeteilten Aufmerksamkeit der deutschen Behörden sicher sein.«
An den Ketten des Flaschenzuges hing bereits eine neue Rakete. Rasselnd wurde sie nach oben gezogen. Drei Männer luden sie auf den leeren Werfer der Abschussrampe neben die beiden anderen. Die volle Verteidigungsfähigkeit musste gewährleistet bleiben. Während Oberst Iljuschin mechanisch die nötigen Kommandos gab, sah er im Geiste die junge Frau auf dem grobkörnigen Foto.
Ich komme dir näher, dachte er.
Jeden Tag.
Immer näher.
*
Um zwanzig nach sieben hatte die Polizei sie gehen lassen. Sie war mit einigen anderen Journalisten in einem der großen Ausnüchterungscontainer neben der Wiesn-Wache festgehalten worden. Der Gestank war unerträglich gewesen. Man hatte ihr das Mobiltelefon abgenommen.
Jeder Journalist, der sich als solcher zu erkennen gegeben hatte, war festgesetzt worden. Der Chef der Wiesn-Wache hatte sich bei ihrer Entlassung entschuldigt und um Verständnis für die Maßnahme gebeten. Nur durch die vorübergehende Geheimhaltung hätte die Sicherheit der Menschen auf dem Oktoberfest gewährleistet werden können, hatte er gesagt.
Dann hatte sie auch ihr Telefon zurückerhalten. Sofort versuchte sie, Werner zu erreichen. Es gab jedoch kein Netz.
No service available.
Danach war Amelie Karman nach Hause gegangen, tief verstört. Als Norddeutsche erkannte sie ein Radar, wenn sie eines sah. Sie hatte sofort gewusst, was sich da über dem Benediktiner-Zelt drehte. Noch immer war ihr völlig unklar, was da passiert sein könnte. Unterwegs bemerkte sie, dass ihr Telefon wieder funktionierte. Nochmals rief sie ihren Geliebten an. Der hatte sein Mobiltelefon jedoch abgeschaltet. Amelie hinterließ eine Nachricht auf der Mailbox.
Ein Blick auf die Wanduhr im Flur sagte ihr, dass in wenigen Minuten die Tagesschau beginnen würde. Sie würde sich die Nachrichten ansehen und danach in der Redaktion anrufen.
Amelie schaffte es gerade noch, sich einen Pulverkaffee zu machen. Dann setzte sie sich auf ihr Sofa und schaltete den Fernseher ein. Es war genau acht Uhr.
Sie sah die Live-Übertragung.
Als im Hintergrund des Bildes die Rakete abhob und ihre Bahn über den Himmel zog, verschüttete sie vor Schreck etwas Kaffee. Ein gänzlich unweiblicher Fluch kam über ihre Lippen.
Die Kamera folgte der Flugbahn der Lenkwaffe, bis sie über den Dächern verschwunden war, und schwenkte zurück zu Friede Heimann. Ihr war deutlich anzusehen, dass sie um Fassung rang.
»Das war …« Ihre Stimme versagte. Sie räusperte sich.
»Das war wohl eine Rakete, dem ersten Anschein nach. Wir werden versuchen, weitere Informationen zu bekommen. Eine Rakete ist vom Gelände des Oktoberfestes gestartet. Wenn ich das richtig gesehen habe, wurde sie vom Benediktiner-Zelt aus abgeschossen.« Sie brach ab. Was sollte sie jetzt noch sagen? Sie sollten nach Hamburg zurückschalten und versuchen, eine offizielle Stellungnahme zu bekommen.
Das war unglaublich.
Eine Rakete.
Mitten in München.
Friede Heimann wollte gerade ihre Abmoderation beginnen, da blitzte am südlichen Horizont über der Stadt ein feuriges Flackern auf. Ein rotes Wetterleuchten. Einige Sekunden vergingen, dann hörte sie das dumpfe Grollen einer fernen Explosion.
Amelie saß wie versteinert vor ihrem Fernseher und hörte das Grollen ebenfalls. Die Angst um Werner ließ sie erzittern.
Die ganze Fernsehnation hörte es.
Live.
*
Die Besatzung des Hubschraubers Edelweiß-7 hörte
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