Oktoberfest
die Explosion nicht mehr. Die Lenkwaffe hatte auf ihrem kurzen Flug ihre volle Geschwindigkeit noch nicht erreicht. Dennoch flog die Rakete bereits mit fast dreifacher Schallgeschwindigkeit, als sie für den Piloten sichtbar wurde.
Für den Prozessor der Rakete waren die heißen Turbinen des Hubschraubers nicht mehr als der Endpunkt einer komplexen Vektorberechnung. Er glich die Peilung ein letztes Mal mit den Radardaten ab, die die Rakete über Funk erhielt. Die Programmierung der elektronischen Zielerfassung ließ das Geschoss schnurgerade und unbeirrbar auf die Lichtpunkte zujagen.
»Gott im Himmel, was ist das? Verdammte Sch…«
Es war dem Piloten nicht vergönnt, seinen Fluch zu beenden.
Als der Gefechtskopf in den Hubschrauber einschlug, erblühte hoch über der Isar ein glutroter Feuerball.
Blendend hell.
Die Detonation ließ die Luft von berstendem Krachen erzittern. Als sich die flammenden Blütenblätter öffneten, regneten wie bei einem überdimensionalen Feuerwerk Tausende von glühenden Stahlfetzen auf das Flussbett herab. Die meisten Trümmer versanken zischend im Wasser der Isar. Einige Teile fielen auf den steinigen Strand des Flusses oder auf die Isarauen und blieben dort glosend liegen.
Dann legte sich Ruhe über den Schauplatz des Abschusses.
Eine dicke, schwarze Rauchwolke stieg zum Himmel auf.
20:40 Uhr
Oleg Blochin hatte recht behalten. Seit einer guten halben Stunde besaß er in der Tat die ungeteilte Aufmerksamkeit der deutschen Behörden.
Im Kanzleramt in Berlin kam das kleine Sicherheitskabinett zusammen. Dringlichkeitssitzung. Die Herren trafen sich in dem Konferenzraum direkt neben dem Büro des Bundeskanzlers. Der Innenminister und der Kanzler fanden sich als Erste ein. Kurze Zeit später traten der Verteidigungsminister und der Außenminister hinzu. Vor wenigen Minuten waren die Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes BND, des Bundesamtes für Verfassungsschutz BAfVS und des Bundeskriminalamtes BKA mit ihren Hubschraubern angekommen. Die Stimmung war angespannt.
Nach einer schnellen Begrüßung durch den Kanzler übernahm der Bundesinnenminister das Wort.
»Meine Herren, ich habe mit dem bayerischen Ministerpräsidenten telefoniert. Die Lage stellt sich im Moment dar wie folgt: Eine bislang unbekannte Zahl von Tätern hat ein Zelt auf dem Oktoberfest unter ihre Kontrolle gebracht. Ob es dabei Opfer gab, kann zur Stunde niemand sagen. Es ist den Tätern gelungen, das Zelt von der Außenwelt abzuschotten. Hierbei sind sie aller Wahrscheinlichkeit nach als Polizisten aufgetreten. Die Täter sind mit den bayerischen Behörden mittels mehrerer Faxbotschaften in Verbindung getreten. Diese Faxe habe ich Ihnen kopieren lassen. Sie liegen vor Ihnen. Es wurde bisher verlangt, dass die Polizei die Zelte absperrt und niemanden herein- oder herauslässt. Dieser Forderung ist nachgekommen worden. Alle Zelte sind abgeriegelt. Den Zugang für Polizei und Hilfskräfte haben die Täter ausdrücklich gestattet.«
Der Bundesinnenminister räusperte sich kurz.
»Auch die Forderung, den Flughafen zu schließen, ist erfüllt worden. Als der Sperrung des Münchner Luftraums nicht bis zum geforderten Zeitpunkt entsprochen wurde, haben die Täter mit einer Luftabwehrrakete einen Polizeihubschrauber abgeschossen. Diese Rakete ist von dem besetzten Zelt aus abgefeuert worden. Bei diesem Zelt handelt es sich um das der Benediktiner-Brauerei. Die drei Beamten an Bord des Hubschraubers sind bei dem Abschuss ums Leben gekommen. Die Täter drohen damit, die Insassen einzelner oder auch aller Zelte mit Giftgas zu töten. Sie bedrohen nach eigenen Angaben sämtliche Zelte mit einer Giftgaskontamination. Weitere Forderungen der Täter sind bislang noch nicht eingegangen. In den Zelten auf der Theresienwiese befinden sich im Moment schätzungsweise siebzigtausend Menschen. Mehr wissen wir zur Stunde nicht.«
Der Innenminister sah den Kanzler an.
Ein schnaufendes Nicken vom Regierungschef.
Er erteilte den Präsidenten des Auslandsgeheimdienstes BND und des Inlandsgeheimdienstes BAfVS das Wort.
Die Referate der Geheimdienstoberen fielen knapp aus. Es hatte keine Anzeichen gegeben, dass in München ein Anschlag vorbereitet würde. Es war völlig unklar, wer die Täter sein könnten. Auch über die Herkunft der Waffen lagen keine Erkenntnisse vor.
»Es ist also möglich, auf dem Oktoberfest Luftabwehrraketen in Stellung zu bringen, ohne dass irgendjemand etwas bemerkt?« Die Ironie in der Stimme des
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