Oktoberplatz oder meine großen dunklen Pferde - Roman
Arschloch, Arschloch, Arschloch, Arschloch.«
Ich packte im Flur meinen Kram zusammen, zog mir Schuhe an, warf meine Lederjacke über. Als ich wieder ins Zimmer trat, war Alezja noch immer bei ihrem kleinen Musikstück, nur die Vokalbegleitung war fast unhörbar geworden.
»Ich muß zur Uni. Zieh die Tür zu, wenn du gehst. Und Finger weg von meiner Briefmarkensammlung.«
Im Augenwinkel sah ich, wie mir Alezja die Zunge herausstreckte.
Zuhause.
Fischkonserven. Cornflakes-Packung, deutscher Import, leer. Vergessen einzukaufen.
Zuhause.
Den ganzen Tag über hatte ich mich unbeschreiblich zerschlagen gefühlt. Ich befürchtete, Alezja könnte noch da sein, wenn ich wieder in meine Wohnung käme, aber da war nichts, auch nicht das kleinste Krümelchen, das auf ihre Anwesenheit hingedeutet hätte. Es roch nicht einmal nach Zigaretten. Sie hatte sogar den Müll rausgetragen.
Nachts träumte ich, alles sei nur ein Traum gewesen, ich erwachte im Traum, nichts war geschehen, und ich war nicht einmal erleichtert.
Ich hatte ernsthaft damit gerechnet, daß es eine einmalige Sache sein würde, aber natürlich hatte ich Alezjas Verlangen unterschätzt, ihre Macht auszuspielen. Ich spürte, daß es dabei nicht um mich ging, eigentlich meinte sie Tatsiana. Nur Tatsiana.
Zwei Tage später rief Alezja an. Sie schlug ein Treffen auf halbem Weg vor. In einem Hotel. Ich sollte bezahlen.
Ich lachte. Ich beleidigte sie. Ich fragte, ob sie vorhabe, das professionell zu machen.
»Ja, lach nur, Wasja. Aber mach dir eines klar: Von jetzt an gibt’s entweder uns beide – oder aber keine von uns.«
Ich schwieg. Lesja hatte die Schachpartie eben erst eröffnet, jetzt drohte sie, mir meine Dame zu nehmen. Nicht schlecht für eine Anfängerin.
»Und – Wasja …?«
»Hm?«
»Nenn mich Ali. Von jetzt an möchte ich Ali genannt werden.«
Ich legte auf. Ali. Schlimmer könnte es nicht mehr kommen, dachte ich.
Wir begannen, eine Donnerstagsaffäre zu haben, aus der bald eine Dienstags- und Donnerstagsaffäre wurde. Ich mußte mich, mußte mein Leben neu organisieren. Mehr denn je war ich jetzt auf mein Auto angewiesen. Ich war beständig unterwegs. Immer nirgendwo. Nirgends irgendwo. Auf der Straße von Minsk nach Hrodna.
An den Wochenenden sah ich Tanja, unter der Woche Alezja. Meist trafen wir uns in einem Hotel. Es durfte nicht immer dasselbe sein, Lesja liebte die Abwechslung. Ich mußte in Vorkasse bezahlen, die Portiers waren mißtrauisch, wir waren zu jung für diese Hotels, wir waren keine Ausländer, und ich trug Kleidung, die mir nicht gerade die Ausstrahlung eines Bisnessman verlieh. Die Etagendamen verlangten unsere Ausweise. Die Papiere verrieten uns nicht. Immer konnten wir mit unserem Nachnamen als Mann und Frau auftreten.
Dann kam auch Tatsiana auf den Gedanken, daß wir uns hin und wieder in einem Hotel treffen könnten, an den Wochenenden, an denen Alezja zuhause war und versprochen hatte, auf Marya aufzupassen. (Die allerdings im Zweifel lieber auf sich selbst aufpaßte).
Es war die Zeit nach meinem ersten Unfall. Grüner Nebel an einer Ampel, an der sich zwei Straßen in einem Feuchtgebiet mitten im Nichts kreuzten. Ein polnischer Kombifahrer hatte nicht im Sinn gehabt, hier anzuhalten. Ich schraubte die Kennzeichen ab, ließ den Dacia an Ort und Stelle, es war ja nicht einmal eine Fahrgestellnummer eingestanzt. Vom Geld, das mir der Kerl zusteckte, kaufte ich mir fast baugleichen Ersatz.
Viele Hotels kamen nicht mehr in Frage, ich mußte peinlich genau darauf achten, daß es keines war, in dem ich zuvor schon mit Alezja als Mann und Frau abgestiegen war. Wäre mir zu diesem frühen Zeitpunkt eine Verwechslung unterlaufen – nicht auszudenken, was Tatsiana mit mir angestellt hätte!Mein Denken drehte derart im Leerlauf, ich begriff erst jetzt, daß ich nun tatsächlich erpreßbar geworden war. Alezja mußte nicht mehr schemenhaft mit den Nachbarn oder mit Marya drohen, nun konnte sie unseren wiederholten Betrug an Tatsiana ruchbar machen. Ich hatte ihr die ideale Figurenkonstellation für eine Erpressung verschafft, hatte mich ausspielen lassen wie ein Schachanfänger.
Dann wieder erinnerte ich mich an Kasparow: » Die größte Kunst beim Schach besteht darin, dem Gegner nicht zu zeigen, was er tun kann. « Ich suchte, Alezja in Sicherheit zu wiegen. Dabei half mir, womit ich nur wenige Wochen zuvor am wenigsten gerechnet hatte: War Sex mit Tatsiana längst zur Drehung und Wendung nach eingespielten Regeln
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