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Oleg oder Die belagerte Stadt - Roman

Oleg oder Die belagerte Stadt - Roman

Titel: Oleg oder Die belagerte Stadt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Angsttraum war vorbei. Und er war nicht einmal wach geworden.

11
    Am nächsten Morgen gab es starken Frost. Oleg merkte es sofort, als er mit seinem Topf auf die Straße trat, um in der Garküche Essen zu holen. Die Kälte biss in Hals und Nase. Es tat fast weh zu atmen.
    Von dem Augenblick an, da Oleg wach geworden war, hatte er an die drohende Evakuierung gedacht. Jetzt überlegte er, dass der Ladogasee bei diesem strengen Frost wohl bald zugefroren sein würde. Wenn es so weiterginge, würden die Lastwagen um Weihnachten wieder fahren können und dann musste er mit vielen anderen Kindern aus Leningrad weg.
    Wütend trat Oleg eine festgefrorene Schneekruste von der Stufe vor einer Haustür. Er musste sich etwas ausdenken, damit dieser elende Plan nicht ausgeführt werden konnte. Vielleicht wusste Nadja Rat.
    Er wartete vor ihrem Haus. Auf dem Weg zur Garküche wollte er ihr alles erzählen. Mit seiner Mutter konnte er darüber nicht reden. Für sie war es so schon schlimm genug, das verstand Oleg wohl. Und Onkel Wanja? Er war schon in Ordnung, das konnte man nicht bestreiten: groß und voller Herzlichkeit. Wenn man ihn umarmte, kitzelte er einen mit seinen Schnurrbarthaaren, doch gleichzeitig spürte man, dass man ihn gernhatte.
    »Ich werde nicht fahren!«, murmelte Oleg vor sich hin. »Was auch geschieht, ich werde nicht fahren!« Lieber wollte er hungers sterben, als mit den Lastwagen über den zugefrorenen Ladogasee zu fahren.
    Nadja würde schon Rat wissen! Aber Nadja kam nicht. Oleg schaute die Straße entlang. Schräg gegenüber lag das ausgebrannte Haus von Iwan und Nina zwischen den andern Häusern. Dass gerade dort die Brandbombe hatte fallen müssen! Voller Bedauern dachte er daran, wie schön er früher mit Iwan gespielt hatte. Wie würde sich Iwan jetzt in dem Kinderheim hinter dem Newski-Prospekt * fühlen?
    Vielleicht war Nadja schon weg. Weil ihm kalt wurde, ging Oleg nun langsam weiter. Hin und wieder schaute er sich um in der Hoffnung, dass Nadja doch noch erschiene. Aus der Ferne erklangen Schüsse von Kanonen. Ob der Kommandant der deutschen Patrouille jetzt wieder durch das Niemandsland schlich, um gegen die Russen zu kämpfen? Oleg kam an den Platz,auf dem die Denkmäler standen, von Sandsäcken geschützt. Bauarbeiter waren eifrig dabei, das Loch zu schließen, das eine Bombe am Tag zuvor ins Pflaster gerissen hatte. Zwei schwer beschädigte Lastwagen lagen halb auf dem Bürgersteig.
    »Was auch geschieht, ich fahre nicht zu Olga Petrowna nach Swerdlowsk«, sagte Oleg leise zu sich selber. Wenn er auch nichts zu wollen hatte, wie Onkel Wanja ihm klargemacht hatte, er würde auf keinen Fall hinfahren! Es gab ihm ein angenehmes Gefühl, das nun ganz sicher zu wissen.
    Die Schlange an der Garküche war lang. Es waren überwiegend Frauen und Kinder, die geduldig dort standen. Aber Nadja war nicht dabei. Oleg schloss sich an. Er hörte auf die Gespräche. Das verkürzte die Wartezeit. »Es ist kalt heute.«
    »Ja, das kann man wohl sagen.«
    »Wenn der See bald zufriert, kommen mehr Lebensmittel.«
    »Dann wird die Suppe wieder etwas dicker.«
    »Dicker und fetter!«
    Oleg hoffte tief im Herzen, dass es Tauwetter gab, obwohl er jedem in Leningrad dickere und fettere Suppe gönnte. Wenn er nur nicht nach Swerdlowsk müsste! Er schaute sich wieder um, ob Nadja inzwischen gekommen war. Er sah sie aber nicht.
    »In Stalingrad halten sie durch!«
    »Genau wie wir hier!«
    »Mein Mann sagt, in Kürze beginnt eine Offensive. Dann werden sie uns befreien.«
    »Lange kann es nicht mehr dauern – so wie jetzt kann es ja nicht weitergehen.«
    Worte, die Oleg schon hundertmal gehört hatte: Es kann nicht mehr lange dauern . . . Aber das, was man gern wollte, geschah nicht immer. Verbissen scharrte Oleg mit dem Fuß im Schnee. Schade, dass Nadja nicht gekommen war. Schritt um Schritt schob er sich allmählich hinter den wartenden Frauen vorwärts.
    »Hast du Nachricht von deinem Mann?«
    »Nein, keine.«
    »Ich habe meine Kinder zur Evakuierung gemeldet. Was soll hier aus ihnen werden!«
    »Es wird nicht mehr lange dauern.«
    »Das sagen wir schon so lange!«
    »Aber in Stalingrad geben sie doch auch nicht auf . . .« Man vergisst so oft, dachte Oleg, dass auch noch anderswo Krieg ist. Stalingrad . . . Moskau . . . Wie eine Dampfwalze war der Krieg über das Land gegangen, wie Feuer, weitergejagt von kräftigem Wind.
    Nadja war immer noch nicht da. Langsam schob sich Oleg zwischen den Frauen auf den großen

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