Olfie Obermayer und der Ödipus
hinter der Tür vom unteren Bad heftig rauschte und jemand laut schnaubte, wollte ich ins "obere Bad", das der Oma und der Tante Fee gehört.
Auf halber Treppe zum ersten Stock blieb ich jedoch stehen. Im ersten Stock unseres Hauses, gleich an der Treppe, befindet sich der "Blaue Salon". Den nennen wir so, weil er blaue Tapeten und blaue Sitzmöbel und einen blauen Teppich hat. Und an der Wand hängt ein Bild, das heißt "Blaue Pferde".
Die Tür vom Blauen Salon stand offen. Meine Schwestern saßen auf der blauen Sitzbank. Sie rauchten und tranken Cinzano-rosso und redeten.
"Ein bißl tust du ihm schon unrecht", sagte die Andrea.
"Ich bitt dich", sagte die Doris. "Er soll sich nicht anschei-
ßen, wir sind auch ohne Mann im Haus groß geworden.
Und normal! Und gar keine üblen Stücke!"
- 34 -
"Kannst nicht vergleichen", sagte die Andrea. "Als Kleinkinder, und darauf kommt es an, haben wir einen Vater gehabt!"
Ich setzte mich auf die Treppe und lehnte den Kopf ans geschnitzte Geländer.
"Ich finde, er ist besser dran als wir", ereiferte sich die Doris. "Was haben wir denn gehabt von unserem Erzeuger?
Nichts als Streit! Der ist ihm erspart geblieben!"
"Red keinen Scheibenkleister", sagte die Andrea. "Im Leben geht es nicht ums Ersparte. Wenn ein Bub ohne Vater aufwächst, kann das ins Auge gehen. Der kann doch seinen Ödipus nie im Leben abarbeiten! Wo denn? Wie denn?"
Hierauf war es ein paar Augenblicke still, dann fragte die Doris mit beklommener Stimme:
"Meinst du, er könnte schwul werden?"
Anscheinend veranlaßte mich diese Frage zu einer ruckarti-gen Körperbewegung, die wiederum unsere Holztreppe zum lauten Knarren brachte.
"Ist da wer?" Die Andrea sprang auf und lief zur Tür vom Blauen Salon.
"Wieso belauschst du uns?" fauchte sie mich an.
"Ich hab bloß auf dem Weg ins Bad eine Rast eingelegt", sagte ich, erhob mich, stieg die Treppe hoch und marschierte an ihr vorbei und schloß mich im oberen Bad ein. Ich setzte mich auf den Wannenrand und starrte die zwei Was-sergläser auf der Ablage über dem Becken an. Wenn die Oma und Tante Fee zu Bett gegangen sind, schwimmen ihre Zähne in den Gläsern. Der Anblick der Plastikbeißer-chen fasziniert mich immer unheimlich. Besonders, wenn man sie durch die bauchigen Gläser betrachtet, die alles verzerren. Wie Reißhauer von Fabeldrachen schauen sie
- 35 -
dann aus. An diesem Abend konnte mich aber der Anblick der falschen Gebisse nicht recht erfreuen. Was ich von meinen Schwestern über mich vernommen hatte, beschäftigte mich zu sehr. Ich zog mich aus, setzte mich in die Wanne und drehte die Dusche auf. Die Dusche hing schief am Haken, das Wasser brauste nicht nur auf mich, sondern auch auf meine Klamotten, die vor der Wanne lagen, doch das störte mich nicht. Ich ließ die Dusche laufen, bis kein warmes Wasser mehr im Boiler war und ich Gänsehaut bekam. Darm stieg ich aus der Wanne. Weil kein Badetuch zu finden war, schlüpfte ich in den Bademantel von Tante Fee, der schweinsrosarot ist und Veilchensträuße aufge-stickt hat. Und um den Halsrand herum hat er eine dreifa-che Rüsche. Ich wickelte mir das irre Stück eng um den Leib, band den Gürtel am Bauch zu einer Doppelschleife und besah mich im großen Spiegel.
"Na, Süßer?" fragte ich mein Spiegelbild. "Bist du schwul oder wirst du es erst?" Mein Spiegelbild lächelte mir sanft zu.
"Mal sehen, mein Herzblatt", murmelte ich, nahm Tante Fees zartrosafarbenen Lippenstift und malte mir einen Monroe-Mund. Dann tuschte ich mir die Wimpern, wobei mir schwarze Farbkleckse an den unteren Lidrand kamen, die verdeckte ich mit grünem Lidschatten. Zum Ausgleich färbte ich mir die Oberlider blau. Und etwas Lippenstift verrieb ich auf den Wangen. Und die Haare kämmte ich mir zu einem langen Pony. Schließlich klemmte ich mir Omas Korallenohrgehänge an die Ohrwascheln und verließ das Bad. Ich steckte die Hände in die Bademanteltaschen und ging hüftenwackelnd zum Blauen Salon. Lächelnd betrat ich ihn, neigte den Kopf und flötete:
- 36 -
"Ihr Lieben, könnt ihr mir mit einem Tampon aushelfen?"
Die Doris und die Andrea starrten mich mauloffen an. Sie schienen keines Wortes fähig. Ein Zustand, der bei ihnen nur selten vorkommt. Ich drehte mich um und rauschte, popowackelnd, ab. Ich war bereits auf der Treppe, da rief die Andrea:
"Olfi! Komm her!" Und die Doris rief: "Olfi! Wir müssen mit dir reden!"
Ich ignorierte das schwesterliche Geplärr und peilte das Wohnzimmer an. Dort befindet sich
Weitere Kostenlose Bücher