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Olfie Obermayer und der Ödipus

Olfie Obermayer und der Ödipus

Titel: Olfie Obermayer und der Ödipus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Nöstlinger
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unsere Bücherwand.
    Ich marschierte daran entlang und suchte sie nach einem Meter roter Leineneinbände ab. Links unten, an der Fensterwand, entdeckte ich das Lexikon. Ich holte den Band Munt-Pan heraus, weil darin alle Wörter mit Ö wie Ödipus sein mußten.
    Ungebildet wie ich bin, wußte ich bloß, daß der Ödipus in den griechischen Sagen eine Rolle spielt. Warum aber einer wie ich seinen Ödipus nicht abarbeiten kann, hoffte ich vom Lexikon zu erfahren.
    Vor der Bücherwand stehend, blätterte ich im Munt-Pan-Band und fand, zwischen odios und Odium diesen Ödipus, der zu deutsch Schwellfuß heißt und König von Theben war, Sohn des Laios und der Iokaste.
    Ein wahnsinnig armes Schwein war dieser Ödipus; soweit das dem Lexikon zu entnehmen ist. Ein Orakelspruch nämlich weissagte seiner Mutter, der Königin von Theben, daß sie einen Unhold gebären werde, einen, der später einmal seinen Vater ermorden und seine eigene Mama heiraten werde. Da waren der gekrönte Papa und die gekrönte Mama natürlich geschockt. Sie setzten den neugeborenen Ödipus einfach aus. Aber er wurde gerettet. Und weil er keine Ah-
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    nung hatte, wessen Sohn er war, tötete er in einem der vielen Streite, die es im alten Griechenland gegeben hat, seinen leiblichen Vater, befreite Theben von der Sphinx und bekam als Lohn dafür den Thron samt der Königin. Daß die Dame seine Mama war, konnte er ja nicht wissen. Die Kö-
    nigin muß für ihr Alter recht knusprig gewesen sein, denn sie bekam vom Ödipus noch drei Kinder. Hätte der Seher Teiresias den Mund gehalten, wäre gar nichts weiter passiert, aber der alte Schwätzer enthüllte alles, und Iokaste, die Mama, war so down, daß sie sich erhängte. Und der arme Ödipus stach sich beide Augen aus und irrte mit Anti-gone, seiner Schwester, - oder Tochter, je nachdem, wie man es betrachtet -, in der Gegend herum, bis er "der Erde entrückt wurde". (Was immer das heißen mag.) Mit Interesse las ich die schuldlos-schuldhafte Alt-Tragödie, doch was sie mit mir zu tun haben könnte, blieb mir rätselhaft. Ich bin ja als Kind nicht ausgesetzt worden!
    Und daß ich meinen Vater, den ich tatsächlich auch nicht kenne, einmal irrtümlich morden werde, war mir wohl schwer zu unterstellen!
    Aber dann entdeckte ich am Ende der Ödipus-Story noch folgenden Hinweis:
    ÖDIPUSKOMPLEX, Psychoanalyse: libidinöse Bindung des Sohnes an die Mutter.
    Nun sah ich etwas klarer und holte mir den Band Kri-Mace, weil darin die L-Wörter sind; L wie libidinös! Ich fand: Lib'ido (lat) die, im geschlechtl. Verhalten Trieb, Begierde, im Unterschied zu Potenz. Nach S. Freud ist L. die seelisch nicht bewußte Triebkraft von ausgeprägt sexuellem Charakter und macht sie damit zur zentralen Energie des Unbewußten ...
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    Va bene! Das war ja nun ein absolut fetter Hund! Ich schob die zwei Lexikonbände ins Regal zurück. In meinem Kopf rotierte allerhand. Okay, sagte ich mir, hat halt ein Sohn ein libidinöses Verhältnis zu seiner Mutter! Okay, ist das halt eine nicht bewußte Triebkraft von ausgeprägt sexuellem Charakter! Wenn der Dr. Freud das erforscht hat, kann ich Wurm nichts dagegen einwenden, denn das Argument, daß ich diese sexuelle Triebkraft in bezug auf die Mama in mir noch nie gespürt habe, zieht ja nicht, weil es um "nicht be-wußte" Triebe geht. Warum aber, fragte sich mein rotieren-des Hirn, befürchten die Doris und die Andrea deswegen Homosexualität für mich? Laut Lexikon wollte ich doch unbewußt mit der Mama Sex machen.
    Das wäre Inzest, aber beileibe nicht schwul, sagte ich mir.
    Dies bedenkend, vernahm ich hinter mir einen gurgelnden, halberstickten Schrei. Den hatte meine Mutter ausgestoßen, als sie - zu ihrem Zimmer gehend - das Wohnzimmer durchqueren wollte. Nun stand sie wie festgewurzelt in der Mitte des großen Raumes und starrte mich, um nichts weniger mauloffen als vorher meine Schwestern, an. Ich lä-
    chelte ihr zu.
    "Bist du des Teufels, Knabe?" stammelte meine Mutter, schnaufte und rieb sich den Nasenrücken.
    "Warum?" fragte ich. Ich hatte - durch die intensive Denke-rei - total meinen absonderlichen Aufzug vergessen.
    "Olf! Der Fasching ist seit Monaten vorüber", sagte die Mama. "Zieh den lächerlichen Frack aus, und wasch diese Kriegsbemalung ab!"
    Ich setzte mich auf die Lehne eines Ledersessels und sagte sanft und freundlich: "Hör auf, deine Nase zu ribbeln, davon bekommst du Falten!" Das sagt sonst immer die Oma
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    zur Mama. Die Mama befolgte meine

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