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Olfie Obermayer und der Ödipus

Olfie Obermayer und der Ödipus

Titel: Olfie Obermayer und der Ödipus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Nöstlinger
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Smetana - wie dem Briefkopf zu entnehmen war - an meine Mutter. In dem Brief riet die Anneliese meiner Mama von einer intensiven Beziehung zum Johannes ab, weil der eine »schwache Persönlichkeit« habe, und
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    die Mama solle sich doch um Himmels willen klar sein, daß sich Johannes, aus reinen Finanzgründen, nie von der Alice trennen werde. Bei dem »Moos«, das die Muxenedersippe nun einmal habe. Der Johannes, schrieb die Anneliese, werde auch bloß die nächsten paar Jahre wie ein Schmetterling flattern, dann werde er sich schön brav und bieder an-passen. In fernerer Zukunft werde er, mit Brille und Bauch, im Muxene-derschen Büro sitzen und kontrollieren, wieviel Geld die Powidlkolatschen eingebracht haben. Und als PS-Satz verfluchte sie den Tag, an dem sie die Mama und den Johannes miteinander bekannt gemacht hatte.

    Ich verwahrte das aufschlußreiche Heft unter meiner Matratze und holte mir das Telefonbuch. Der Muxeneder waren nicht sehr viele darin, und der, der als Schwiegervater meines Vaters in Betracht kam, konnte nur der Alois Muxeneder sein, Bäcker und Konditor in der Westbahnstraße 100; falls der Powidlkolatschenhinweis dieser Anneliese kein dummer Witz gewesen war. Für den Nachmittag beschloß ich einen Powidlkolatscheneinkauf in der Westbahnstraße 100!
    Ich war schon beim Weggehen, bloß Tante Fee hielt mich noch auf, weil sie wissen wollte, was sie im Falle eines Anrufs der Mama lügen solle, da kam die Erbswurstsuppe, um mir einen Krankenbesuch abzustatten. Mit drei rosa Nelken und einem Punschkrapfen in Herzfasson kam sie. Sie war sehr erleichtert, als sie mich senkrecht und kraftstrotzend erblickte.
    »Ich hab mir schon solche Sorgen um dich gemacht«, hauchte sie mir ins Ohr. Ich sagte, daß ich nur am Morgen krank gewesen sei, daß es mir jetzt schon wieder besser
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    gehe und daß ich eine dringende Besorgung machen müsse.
    Die Erbswurstsuppe teilte mir mit, daß sie mich begleiten werde. Ich war zu höflich, um zu widersprechen.
    Auf dem Weg zur Straßenbahn hielt sie meine Hand. Sie hielt sie so fest, daß man hätte meinen können, sie habe Angst, sich ohne meinen Schutz im Walde zu verlaufen. In der Straßenbahn wieherte sie wie ein altes Pferd, weil ich auf ihre Frage, was ich denn zu erledigen habe, »Kolatschen kaufen« geantwortet hatte. Sie hielt das für einen prächtigen Scherz.
    Die Bäckerei Muxeneder war ein hübscher Laden, ganz auf
    »alt« aufgemotzt, mit schwarzen Glasschildern, mit Gold-schrift, mit Schnörkeln. Zweiundvierzig Sorten Brot, davon acht biologisch vollwertig, führe die Firma Muxeneder, verkündete ein Plakat in der Auslage. Und erlesene Mehl-speisen aus reiner Butter und frischen Eiern zubereitet. Als April-Spezialität empfahl das Plakat: Erdbeeromelette mit Schlagobers.
    Die Erbswurstsuppe stolperte hinter mir in den Laden hinein.
    »Du willst echt Kolatschen kaufen?« fragte sie entsetzt.
    »War nur ein Witz«, sagte ich. Ich hatte nämlich gesehen, daß neben dem Verkaufsraum ein Zimmer mit Tischen und Stühlen war; fast ein richtiges Kaffeehaus. »Das ist mein neues Lieblingslokal«, sagte ich zur Erbswurstsuppe.
    Die Erbswurstsuppe wollte sich zu einem Tisch am Fenster setzen, ich suchte einen Tisch in der Mitte des Raumes aus, von dort war das Lokal zu überblicken. Die Erbswurstsuppe erklärte, sie habe ihr Taschengeld in die drei Nelken und den Herzpunschkuchen investiert, nicht einmal ein Mine-ralwasser könne sie sich leisten. Ich lud sie auf ein Erd-
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    beeromelette ein. Die Erbswurstsuppe mampfte beglückt und teilte mir kauend mit, daß es hier »irre schick« und
    »wahnsinnig süß« und »echt Spitze« sei. Als sie fertig ge-futtert hatte, rückte sie mir an den Leib, lehnte den Kopf an meine Schulter und erzählte von der Mathe-Schularbeit und unterstellte mir, daß ich gar nicht krank gewesen sei, sondern mich bloß vor der Schularbeit gedrückt habe. Aber das, meinte sie, sei sinnlos gewesen. Die Schularbeit werde garantiert wiederholt. Gut zwei Drittel der Klasse rechneten mit einem Nichtgenügend. Während sie dies referierte, streichelte sie abwechselnd meine rechte Hand und meinen rechten Oberschenkel.
    Zwei Stunden saß ich mit der Erbswurstsuppe im Muxeneder-Laden, einen, der mein Vater hätte sein können, sah ich nicht. Außer dem Fräulein, das servierte und den drei Frauen, die Brot und Kuchen verkauften, tauchte aus hinteren Gefilden dreimal ein alter, beleibter, rotgesichtig-schlaganfälliger Mann auf,

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