Olfie Obermayer und der Ödipus
ich sie aus meinem Zimmer. Sanft dösend wartete ich im Bett, bis Tante Fee zum Einkaufen das Haus verlassen hatte. Dann erhob ich mich und durchforschte die untere Lade der Kommode im Zimmer der Mama. Ich vermutete dort verborgene Indizien, weil diese Lade immer versperrt ist. Der Schlüssel zur Lade liegt in der eisernen Handkasse der Mama, und der Schlüssel zur Handkasse liegt unter der Schreibunterlage auf dem Schreibtisch. So kleine intime Details bekommt man einfach mit, wenn man vierzehn Jahre zusammen lebt!
Die Lade war vollgestopft. Hauptsächlich sentimentaler Kram war darin. Sogar Schießbudenrosen mit Silberflitter.
Und ein Papierfächer. Gebündelte Papiere fand ich in Massen. Darunter das Scheidungsurteil der Mama samt Rechnung vom Anwalt. Und Fotos, auf denen die Mama, sehr jung und sehr schlank, nackend auf einem geblümten Sofa posierte. Mich und meine Herkunft betreffend fand ich zuerst nur Schreiben vom Fürsorgereferat und der Ober-vormundschaft. Anscheinend ist es gar nicht so leicht, wenn eine Frau den Namen des »Kindsvaters« bei der Behörde nicht angibt. Die machen enorme Schwierigkeiten. Die Mama, entnahm ich den amtlichen Wischen, mußte ziemlich lang herumstreiten, bis man sie in Frieden gelassen hat.
Dann fand ich unter einer Schachtel mit Muscheln, Schnek-kenhäusern und Kieselsteinen etliche Hefte, von der Mama
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beschrieben. Um Tagebücher mit laufenden Eintragungen handelte es sich nicht. Es waren eher Problem-Hefte. Die Mama dürfte, sooft sie in einer schwierigen Lebenssituation gewesen ist, ihre Gedanken in die Hefte geschrieben haben.
In manchen waren bloß ein paar Seiten beschrieben, manche waren bis zum letzten Blatt gefüllt. Und viele Seiten waren durchgestrichen, und mit rotem Filzstift war »Blödsinn« oder »Kitsch« oder »Scheiße« in Riesenlettern darü-
bergekritzelt.
Ein Heft beschäftigte sich mit der Absicht der Mama zu heiraten. Und mit den Streitereien, die sie deshalb mit der Oma hatte. Und mit den eigenen Bedenken gegen die Heirat. Und mit den Hoffnungen, die sie trotzdem für die Zukunft hatte.
Mehrere Hefte gehörten zu mehreren Ehekrisen. In ihnen war die Tinte oft von nassen Flecken aufgelöst und unleser-lich. Ich überflog die Seite bloß und bekam eine Gänsehaut.
Ein echter Horrortrip muß das Eheleben der Mama gewesen sein.
Das Heft, das mich etwas anging, nahm ich an mich. Alles andere tat ich in die Lade zurück, schloß ab und deponierte die zwei Schlüssel wieder an ihren geheimen Orten. Mit meiner Lektüre zog ich mich auf mein Bett zurück. Um es kurz zu machen: Meine Mutter hat meinen Vater ganz irre geliebt, aber erstens war er tatsächlich viel jünger als sie, und sie hat gemeint, das müsse schiefgehen. Und zweitens war er ein »Schmetterlingsjäger« - was immer das heißen mag - und nicht für den Ernst des Lebens gebaut. Bekommen hat sie mich, weil sie eine Pillenpause eingelegt hatte, und behalten hat sie mich, weil ihr der erste Arzt, der mich hätte auskratzen sollen, zu versoffen war, und der zweite
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Arzt hat enorm viel Geld verlangt. Zur Oma um Geld wollte sie nicht gehen. Eine Freundin hat ihr versprochen, das Geld aufzutreiben. Aber das hat eine Zeit gedauert. Und wie die Freundin das Geld endlich gehabt hat, war der teure Arzt tot. Dahingerafft von einem Herzinfarkt. Und da war die Mama direkt erleichtert. Sie hat beschlossen, daß das ein Wink des Schicksals ist, und hat mich behalten!
Dem Schmetterlingsjäger hat sie nichts von mir gesagt.
Weil der, schreibt sie, das nicht »verkraftet« hätte, und ein Mann wie er wäre ihr keine Hilfe, sondern eine Last gewesen.
Sie hat ihm gesagt, daß »Schluß« ist. Einfach ohne Grund.
Er hat sehr gelitten, aber die Mama schreibt, sie kennt ihn so gut, daß sie genau weiß, daß er sich bald mit einer anderen »trösten« wird.
Daß der Schmetterlingsjäger eine Frau und ein Kind gehabt hat, ist auch aus dem Heft hervorgegangen. Und daß er seit vielen Jahren studiert; was er studiert, hat die Mama nicht geschrieben. Und daß er Johannes heißt. Sogar einen kleinen Zettel von ihm habe ich zwischen den Seiten des Heftes gefunden. Drauf hat gestanden:
Geliebte Moni,
ich konnte nicht länger warten. Ich liebe Dich! Muß jetzt A.
vom Konzert abholen. Ich liebe Dich! Rufe morgen in Deiner Kanzlei an. Ich liebe Dich. Johannes
Den wirklich wichtigen Hinweis entdeckte ich ebenfalls als Beilage, ganz hinten im Heft. Es war der Brief einer gewissen Anneliese
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