Olfie Obermayer und der Ödipus
Tanten habe, die wiederum hätten andere Kinder nicht und seien deswegen sehr traurig! Diese Argumentation habe ich damals eingesehen. Und hin und wieder habe ich auch gemerkt, daß sich manche Kinder vor ihren Papas fürchten. Da war ich dann froh, keinen zu haben.
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Später dann, in der Schule, hat ein blöder Kerl neben mir gesessen, der hat mich dauernd gelöchert, wieso ich denn keinen Papa habe. Da habe ich ihm erzählt, daß mein Papa bei einem Motorradunfall gestorben ist. Auf einer Harley-Davidson ist er geritten und in einer Kurve von der Straße abgekommen, und einen Dreifachsalto in einen Kuhstall hinein hat er gemacht und ist dort von einem Stier zertram-pelt worden. Der blöde Kerl hat das tragische Ende meines Papas in der Klasse verbreitet, und die meisten Kinder waren traurig ergriffen und haben sich bei mir nach den näheren Umständen des Unglücks erkundigt. Ich habe ihren Wissensdurst befriedigt. Und mit der Zeit, ich kann nicht recht erklären, wie das passiert ist, habe ich selber an meinen toten Motorradfahrer geglaubt. Nicht zu hundert Prozent natürlich! Ich habe schon gewußt, daß die Sache ein Schwindel ist. Weil ich auch immer Angst gehabt habe, daß die Kinder meiner Mama davon erzählen. Doch wenn ich an meinen Vater gedacht habe, habe ich ihn mir als Motorradfahrer vorgestellt. Ganz genauso, wie ich ihn für die anderen erfunden habe. Und das Gefühl, daß mein Vater tot ist, habe ich auch immer gehabt.
Deshalb bin ich nie weiter interessiert gewesen, wenn die Mama das Thema »Vater« angeschnitten hat. Ich habe eher versucht, sie wieder davon abzubringen, denn erstens wollte ich mir meinen toten Motorradfreak, den ich im Laufe der Jahre auch mit einem Architekturbüro, einem Porsche und einer Geliebten in Blond und einem Talent zum Saxophon-spielen ausgestattet hatte, nicht rauben lassen, und zweitens tat die Mama bei diesen Gesprächen irre geschraubt, ge-wunden und verklemmt. Papier quatschte sie. Von einer
»wundervollen Beziehung« säuselte sie und vom Fortleben
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des Glücksgefühles dadurch, daß ich als lebendiger Beleg der Beziehung tagtäglich für sie vorhanden sei. Schlicht peinlich waren diese Verlautbarungen. Die Mama merkte mit der Zeit, daß ich ihre periodisch stattfindenden Andeutungen nicht gut aushielt und verschonte mich damit.
Meine Schwestern wußten auch nichts über meinen Vater.
Die Doris vermutete, daß der frühere Chef der Mama in Frage komme. Die Andrea hingegen meinte, daß ich aus einem Griechenlandurlaub der Mama herrühre, meine schwarzen Ringellocken und meinen relativ braunen Teint sah sie als Beweis ihrer Theorie an. Das hatte ich einmal belauscht, als die beiden am Abend eines ihrer »tiefen«
Gespräche führten. Und dabei hatte ich noch etwas gehört, nämlich daß Tante Fee, nach Ansicht meiner Schwestern, mehr wissen müßte. Meine Schwestern hatten nämlich auch ein Gespräch belauscht. Eines zwischen Tante Fee und der Mama. Die Mama hatte sich bei Fee über mein Benehmen beklagt, und da hatte die Fee zur Mama gesagt, die Mama brauche sich wegen meiner Erziehung keine Vorwürfe zu machen, meine Rüpelhaftigkeit sei sicher ein Vater-Erbteil.
Wenn die Tante Fee meinen Vater nicht kennen würde, könnte sie doch so etwas nicht behaupten, versicherten meine Schwestern im erlauschten Gespräch einander.
Darum hatte ich beschlossen, Tante Fee zu verhören! Ich hielt mich nicht lange mit Vorreden auf, sondern sagte:
»Fee, hör mir zu! Ich bin nicht krank! Ich liege nur im Bett, weil ich nachdenken muß!«
»Aber Olferle«, rief Tante Fee und bekam Kummerfalten auf der Stirn, doch dann neigte sie den Kopf ein wenig
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schräg und fragte: »Worüber mußt denn nachdenken? Oder ist das zu intim, daß du es mir sagen kannst?«
»Es geht um meinen Vater«, sagte ich. »Es ist eine Sauerei, daß ich keine Ahnung habe, wer er ist. Ich möchte Klarheit.
Und die Mama redet immer nur blöd herum. Darum frage ich dich!«
»Ich weiß doch nichts!« rief die Fee. »Sie hat uns nichts gesagt! Nur, daß du ein Kind der Liebe bist...« »Den Kitschkleister kenn ich schon«, unterbrach ich Tante Fee.
»Aber ich schwöre, Olferle!« Tante Fee hob die Schwurpfote. »Gar nichts weiß ich. Nach ihrer Scheidung hat uns deine Mama nie mehr mit einem Herrn bekannt gemacht. Direkt als kränkend haben wir das empfunden.
Wenn sie ausgegangen ist, hat immer ein Auto vor dem Garten gewartet, und der Mann hat auf die Hupe gedrückt.
Die Oma
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