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Olfie Obermayer und der Ödipus

Olfie Obermayer und der Ödipus

Titel: Olfie Obermayer und der Ödipus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Nöstlinger
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im fünften Stock wohnen!«
    Mir war speiübel im Bauch. Schlaff hingen die Gummibandeln in mir herum. Ich legte mich neben die Joschi aufs Sofa.
    »Wenn mein Bruder wenigstens da wäre«, flüsterte die Joschi dicht an meinem Hals, »der ist noch der einzige, der sich traut, ihn aufzuhalten. Meine Mutter hat auch Angst, glaube ich. Aber vielleicht ist ihr auch alles Wurscht. Ich weiß es nicht!«
    Ich zog die Joschi an mich, ganz fest, weil sie zitterte.
    »Früher, da bin ich ein paarmal zu meiner Oma«, sagte die Joschi. »Die hat mich geschützt. Einfach rausgeschmissen hat sie ihn, obwohl sie seine Mutter ist. Er hat gedroht, er holt mich mit der Polizei. Aber das hat er nicht getan, weil er auf seinen Ruf bedacht ist. Zur Polizei gehen ist eine Schande in seinen Augen. Ein paar Wochen war ich dann immer bei der Oma. Und dann hat mich die Mama geholt.
    Und er hat getan, als ob nichts gewesen wäre. Aber die Oma ist jetzt im Altersheim. Und ganz verkalkt ist sie. Die kennt mich nicht einmal mehr.«
    »Sonst gibt es niemanden?« fragte ich.
    »Nein«, sagte die Joschi. »Gar niemanden. Überhaupt niemanden. Wenn dir nichts einfällt für mich, dann weiß ich echt nicht weiter. Ich weiß nur eins, daß ich nicht heimgeh: Nie mehr!«
    So vernünftig und klar, wie ich nur konnte, versuchte ich für die Joschi nachzudenken. Mir fiel ein, daß meine werte Familie bei jeder größeren Weltkatastrophe damit liebäu-gelt, ein Kind aus dem Katastrophengebiet zu adoptieren, weil das, wie meine Mama sagt, Pflicht der Bürger von
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    wirtschaftlich und politisch bevorzugten Gegenden sein müsse. Bisher hat das Adoptieren nur deswegen nicht ge-klappt, weil sich anscheinend Leute, die schon alles verloren haben, nicht auch noch gern ihre Kinder wegnehmen lassen.
    Wenn meine Familie in regelmäßigen Abständen Bereit-schaft zeigt, Chile-Kinder,
    Polen-Kinder, Sahel-Zone-
    Kinder oder Kambodscha-Kinder aufzunehmen, dachte ich, muß ihr eigentlich auch die Joschi recht sein. Und wozu, dachte ich weiter, ist meine Mutter eine ganz clevere, schlaue Rechtsanwältin? Ihr müßte es doch gelingen, diesem Wahnsinnsvater die Joschi zu entreißen. Angeblich gibt es doch für alles Mittel und Wege. Und so einen alten Prügler kann man doch zumindest für abnormal erklären lassen und entmündigen und in eine Anstalt stecken. Wir leben doch in keinem Land, wo solche Väter erlaubt sind.
    Meine Mutter erschien mir als einzige Rettung!
    Ich ging zum Schreibtisch. Dort hat die Mama einen Telefon-Nebenanschluß. Ich wählte die Nummer der Kanzlei.
    Die Kanzlei-Vorzimmerfrau meldete sich und behauptete, sie dürfe meine Mutter nicht stören, die sei sehr beschäftigt.
    Ich bestand auf einer Verbindung mit der Mama. Dabei hörte ich das typische Knackgeräusch, das immer dann ent-steht, wenn bei uns im Haus ein Neugieriger in einem anderen Zimmer einen Telefonhörer abhebt, damit er mitlau-schen kann; doch das war mir ziemlich Wurscht. Die Kanz-leidame genehmigte mir nach etlichem Hin und Her schließlich die Mama, und die Mama meldete sich mit ver-drossener Stimme. Ich wollte der Mama Joschis Problem erklären, doch sie ließ mich nicht zu Wort kommen.
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    »Ich habe jetzt wirklich keine Zeit«, sagte sie, »aber ich bin spätestens in zwei Stunden daheim. Und ich wünsche dich vorzufinden! Dann werden wir die Angelegenheit klären!«
    Ich sagte der Mama, daß es mir ja gar nicht um die vertrot-telte Partyaffäre ginge, aber noch bevor ich erklären konnte, worum es ging, donnerte die Mama los, ich solle nicht unverschämt werden und das Problem nicht verniedlichen, und vertrottelt sei höchstens ich, das zeige mein indiskuta-bles Verhalten.
    »Jetzt halt aber einmal die Luft an!« brüllte ich in den Hö-
    rer. »Und hör mir gefälligst drei Minuten zu!«
    »In zwei Stunden bin ich daheim, und dann höre ich dir zu!« brüllte die Mama zurück.
    »Nein, du hörst mir jetzt zu!« brüllte ich. »Es geht um meine Freundin Joschi, und es ist lebenswichtig!«
    Da war die Mama bereit, mir zu lauschen. So kurz und so schlicht wie möglich schilderte ich ihr Joschis verzweifelte Lage. Und was sagte das irre Stück von einer Frau darauf?
    Sie fragte mich: »Wieso schwänzt sie denn die Schule und klaut Geld, wenn sie doch weiß, daß sie so einen Vater hat?«
    »Das steht doch jetzt nicht zur Debatte!« schrie ich, vor Wut und Enttäuschung fast heulend, in den Hörer. »Nein, wahrlich nicht«, kam die Stimme meiner Mutter. »Zur Debatte

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