Olfie Obermayer und der Ödipus
in der Größenordnung Wien-New York.
Und was noch schlimmer war: Man hatte die Reise nach Gfurt am frühen Morgen anzutreten. Jetzt, am Nachmittag, bekam man keinen der Anschlußbusse mehr.
Eine Frau, die hinter uns wartete, riet uns, nach Schönau zu fahren, das sei noch mit der Bahn zu erreichen. Von dort, meinte sie, könnten wir mit Autostop weiterkommen. Der Mann, der hinter der Frau stand, sagte, sie solle Jugendliche nicht zum Autostop verleiten, das sei zu gefährlich. Und die Frau, die wiederum hinter dem Mann stand, rief erregt, ob denn an diesem Schalter gar nichts weitergehe, sie werde noch ihren Zug versäumen! Die Joschi zog mich am Ärmel.
»Komm weg da«, flüsterte sie. »Zum Schluß fragen uns die noch aus und merken was!«
Ich fand das zwar absurd, denn die Leute scheren sich in Wahrheit umeinander überhaupt nicht. Ob da ein toter Rentner drei Wochen in seiner Wohnung liegt oder zwei Kinder von zu Hause abhauen, ist ihnen stinkegal; aber ich wollte die Joschi nicht noch mehr in Panik treiben. So ging ich halt mit ihr vom Schalter weg. Wir setzten uns auf eine Bank in der Schalterhalle. »Hat doch alles keinen Sinn«, sagte die Joschi. »Nie kommen wir in dieses Scheißnest.
Und überhaupt. Er kann ja auch weg sein. Und vielleicht ist er gar nicht dein Vater. Oder er wirft uns hinaus. Und schließlich hab ich die Adresse nur von der Schwester seiner ehemaligen Freundin. Vielleicht hat sie sich geirrt!«
Milde wie ein alter Krankenpfleger setzte ich der Joschi auseinander, daß mir ihre Bedenken schon längst gekommen seien, daß es im Moment aber bloß darum gehe, ir-
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gendein Ziel anzupeilen, weil wir schließlich nicht in der Schalterhalle vom Bahnhof übernachten könnten. Die Joschi murmelte, daß ich das alles zu wenig ernst nehme.
»Okay«, sagte ich. »Dann nimm es halt ernst und geh nach Hause! Ich kauf mir eine Karte nach Schönau. Und von dort schau ich, wie es weitergeht! In zehn Minuten fährt nämlich ein Zug!«
Natürlich hätte ich die Joschi nicht mutterseelenallein zu-rückgelassen, aber ich war sicher, daß sie mir nachkommen würde. Wenn man so verzweifelt und ratlos ist, wie es die Joschi war, braucht man einfach einen Schubs; sonst bleibt man hocken und tut gar nichts. Ich hatte recht. Auf halbem Weg zum Schalter war die Joschi wieder neben mir.
Der Zug war ziemlich voll. Uns gegenüber saß ein Ehepaar.
Kaum hatte der Zug den Bahnhof verlassen, schloß der Mann die Augen und fing zu schnarchen an. Die Frau er-klärte uns seufzend, daß ihr Gemahl alle Zugfahrten so zubringe. Sie war sichtlich auf Unterhaltung mit uns aus. Sie erzählte uns, daß sie bei ihrer Tochter zu Besuch gewesen sei und jetzt wieder heim nach Schönau fahre. Und daß sie dort ein Geschäft habe. Und daß sie in drei Jahren in Pension gehen werde. Und daß sie sich für dann einen Enkel wünsche. Ich erzählte ihr, daß wir - meine Schwester und ich - zu unserer Oma unterwegs seien. Die wohne in Gfurt.
Und habe den siebzigsten Geburtstag. Und zu dem wollten wir ihr gratulieren. Und von Schönau würden wir versuchen, per Autostop weiterzukommen. Und mit dem Zug seien wir unterwegs, weil unser Papa und unsere Mama grippekrank seien und uns deshalb nicht mit dem Auto hin-bringen könnten.
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Die Frau war gerührt. Enkel, die so umständliche Reisen auf sich nehmen, um der Omi eine Freude zu machen, sagte sie, seien rar. Ob wir anstandslos von der Schule frei bekommen haben, fragte sie mich. Sie habe nämlich schon gehört, daß die Schuldirektoren da sehr stur sein können.
Ihrer Nichte sei nicht einmal für die Silberhochzeit der Großmutter ein schulfreier Tag genehmigt worden. Ich sagte ihr, unser Herr Hofrat sei ein netter Mensch, und weil wir beide Vorzugsschüler seien, habe er es anstandslos erlaubt.
Die Joschi war still. Kein Wort trug sie zur Unterhaltung bei. Aber die geschälten Orangen und die Kekse, die ihr die Frau reichte, aß sie.
Der Zug zuckelte schon gut zwei Stunden durch die öde Gegend, da kam ein Mädchen, so um die zwanzig, durch den Waggon. Meine Visavis-Frau hielt sie auf.
»Servus, Christerl«, sagte sie. »Geht's wieder heim?«
Die Christerl nickte, dann sagte sie der Frau, sie sitze einen Waggon weiter vorne, aber in diesem Waggon sei das Klo total verdreckt, sie schaue sich das Klo in unserem Waggon an. Ob das benutzbar sei. Dann wankte sie - weil der Zug so ruckelte - dem Klo zu. Die Frau schaute ihr nach. »Ein sehr liebes Mädchen«, sagte
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