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Olfie Obermayer und der Ödipus

Olfie Obermayer und der Ödipus

Titel: Olfie Obermayer und der Ödipus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Nöstlinger
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zog ihn an. Die Ärmel waren mir zwar etwas zu kurz, aber sonst paßte er mir halbwegs. Und die Joschi ließ ich die dünne Jeansjacke gegen Mamas Walklodenjan-ker vertauschen. Im Waldviertel soll es oft recht kalt sein.
    Die Joschi mußte die Ärmel zweimal umschlagen, damit ihre Fingerspitzen wenigstens ein bißchen daraus hervor-schauten. Und fast bis zu den Knien reichte ihr der Janker.
    Und weil er eine grelle, dunkelgrüne Farbe hatte, wirkte ihr Gesicht noch bleicher. Direkt wie eine Wasserleiche sah sie aus. Aber sie war garantiert die schönste Wasserleiche, die man je gesehen hat.
    Wir sprangen durchs Fenster in den Garten hinaus. Wir liefen zum hinteren Zaun, kletterten darüber und gingen den schmalen Weg der Straße zu. Als wir zum Haus vom Axel kamen und ich Axels offenes Zimmerfenster sah und dahin-ter den Axel im Schaukelstuhl, mit einem Buch in den Händen, bat ich die Joschi um Papier und Bleistift. Die Jo-
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    schi holte einen Notizblock und einen Kugelschreiber aus der Schultasche. Ich schrieb auf den Block:
    Axel, richte dem Florian und dem Harri aus, daß sie sich um mich keine Sorgen machen müssen. Eines Tages komme ich wieder. Wolfgang
    Der Text kam mir zwar reichlich blöde vor, aber etwas Besseres fiel mir in der Eile nicht ein. Ich riß den Zettel vom Block, knüllte ihn zu einer lockeren Kugel und warf ihn zum Fenster vom Axel. Die Papierkugel landete gut zwei Meter vor seinem Fenster im Gras. Ich schrieb einen neuen Zettel:
    Axel, ich haue ab. Sag dem Harri und dem Florian, daß ich sie grüßen lasse. Und irgendwann komme ich sicher wieder. Wolfgang
    Ich knüllte den Zettel wieder zu einer Kugel, diesmal zu einer festeren, kleineren und warf sie. Aber der Wind blies zu stark. Diesmal landete meine Botschaft in einem Rosen-busch neben Axels Fenster. »Du mußt den Brief um einen Stein wickeln, dann kannst du besser zielen, dann vertreibt ihn der Wind nicht so«, sagte die Joschi. Ich schrieb einen dritten Zettel:
    Axel, wir hauen ab. Grüß den Harri und den Florian von mir. Alles Gute. Und wünsch es mir auch. Wolfgang Die Joschi suchte einen Stein, fand einen zwetschgengro-
    ßen, legte ihn wieder weg, sagte: »Sonst haust du ihm noch den Schädel ein«, gab mir einen kirschengroßen, sagte:
    »Der müßte reichen«, schaute mir zu, wie ich den Zettel um den Stein knüllte, schüttelte den Kopf, meinte, das sei zu locker, holte einen Faden aus der Schultasche und wickelte den Faden um die steingefüllte Papierkugel.
    »Wirf du«, sagte ich.
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    Die Joschi warf den Stein, sie traf exakt ins Fenster. Wir liefen den Weg weiter. Als wir zur Straße kamen, drehte ich mich kurz um und sah den Axel an seinem Fenster stehen.
    Er schaute in unsere Richtung. Ich glaube, er winkte uns nach.
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    8. Kapitel

    das von tiefen seelischen Eindrücken handelt, die aber nicht voll zum Tragen kommen, weil ich ein paar Schwierigkeiten habe, die ein Herr mittleren Alters das »Defizit der Wohlstandsjugend« nennt.

    Für einen wie mich, der daran gewöhnt ist, bei Anbruch einer Reise ins Auto zu plumpsen und zum Erreichen des Fahrziels nicht mehr beizutragen als die Frage: »Sind wir schon da?«, war der Weg nach Gfurt atemberaubender als Gullivers Reise zu den Zwergen. Öffentliche Verkehrsmit-tel waren für mich bis dahin unent-deckte Gefährte; abge-sehen von der innerstädtischen Bim-bim. Und außer daß man vom Westbahnhof nach Westen und vom Ostbahnhof nach Osten und vom Südbahnhof nach Süden fahren kann, war mir die Reisetätigkeit ohne Pkw ein Mirakel. In einem Zug oder einem Autobus hatte ich - bis auf zweimal Skikurs fahren - in meinen vierzehn Lebensjahren noch nicht gesessen. Daher glaubte ich der Joschi blindlings, als sie mir sagte, ins Waldviertel fahre man vom Franz-Josefs-Bahnhof aus. Dieser Bahnhof war ja gerade noch zu finden, aber wie den ersten Menschen, noch ohne aufrechten Gang, schaute mich der Schalterbeamte an, als ich zwei Karten nach Gfurt und den passenden Zug dazu verlangte. Ein netter Mann war er trotzdem. Obwohl hinter uns Leute warteten, schlug er in einem Buch nach und stellte fest, daß es nach Gfurt überhaupt keine Zugverbindung gibt. Dieser Ortschaft, sagte er, könne man sich bloß listig nähern, mit zweimal Bahn und zweimal Autobus. Und dann halt zu Fuß. Drei Varianten bot er uns an. Alle drei versickerten
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    etwa zehn Kilometer vor Gfurt im Nichts. Und bei allen drei Anfahrtsmöglichkeiten war die Fahrzeit inklusive War-tezeiten ungefähr

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