Olfie Obermayer und der Ödipus
sie. »In den Tabak oder in den Filter?«
Ob ihr jemand wissende Antwort erteilte, entging mir, denn durch das Stück Garten, das ich vom Fenster aus überblickte, kam die Joschi auf das Haus zu. Ich wollte aus dem Zimmer gehen, die Andrea hielt mich am Hemdsärmel fest.
»Du bleibst hier!« rief sie. »Du türmst jetzt nicht! Das könnte dir so passen!« Und die filterzerzupfende Oma kreischte: »Ich habe der Moni versprochen, daß du das Haus nicht verläßt, bevor sie heimkommt!«
»Ich mache bloß die Haustür auf«, sagte ich. »Eine Freundin von mir ist gekommen.« Zur Bestätigung meiner Worte
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ertönte das melodische Kling-klang unserer Türglocke. Die vier Weiber schauten einander an.
»Ich öffne«, sagte Tante Lieserl.
Die drei anderen Weiber nickten ihr zu.
»Das wirst du nicht«, sagte ich. »Meiner Freundin öffne ich selbst die Tür. Und wenn du mich nicht losläßt«, fauchte ich Andrea an, »dann leg ich dir eine auf, daß du für die nächsten drei Wochen ein blaues Guck hast!«
Der Andrea, fassungslos ob meiner Wortwahl, entglitt mein Hemdärmel. Zwar wollte sie gleich wieder nach ihm grap-schen, aber da war ich schon an der Tür. Ich rannte im Eil-zugstempo zur Haustür. Die vier Weiber folgten mir nicht.
Sie standen oben am Treppenabsatz und starrten hinter mir her.
Ich öffnete die Haustür. Ich wollte die Joschi nicht herein-bitten. Die häusliche Lage war zu sonderbar, um sie einem Besuch anzubieten. In den Garten konnte ich mit der Joschi aber auch nicht gut gehen, weil es windig und kalt war. Und für einen Kaffeehausbesuch war ich zu pleite. Außerdem wären mir die vier Weiber, hätte ich das Grundstück verlassen, höchstwahrscheinlich nachgejappelt und hätten mich festgehalten. Diese Überlegungen müssen sich auf meinem Gesicht als staunende Ratlosigkeit widergespiegelt haben, denn die Joschi sagte:
»Entschuldige, daß ich so einfach herkomme. Aber bis vier Uhr hab ich nicht mehr warten können.«
Mein Zögern, sie in die gute Stube zu bitten, deutete die Joschi als Unwillen. Ihre winzigkleine Nase begann zu zuk-ken wie eine Hasenschnauze, Tränen füllten ihre Augen, sie sagte:
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»Hilf mir! Ich hab sonst niemanden!«
Ich hatte bisher so große Tränen noch nie so edel und still über so schöne Wangen tröpfeln sehen. »Komm rein«, sagte ich, und mein seit Tagen vage gehegter Verdacht, ich könnte die kleine, dürre Person im Schlotterlook lieben, wurde mir zur sicheren Gewißheit. Ich weiß nicht, wie es anderen Leuten geht, wenn ihnen urplötzlich so etwas wi-derfährt. Vor allem nehme ich an, daß andere Leute von solchen Erkenntnissen nicht gerade dann überfallen werden, wenn im Hintergrund vier hysterische Weiber lauern und im Vordergrund das Objekt der irren Zuneigung heult.
Mir jedenfalls kamen alle Gummibänder durcheinander. Ich lebe nämlich in einer medizinisch falschen, gefühlsmäßig aber grundrichtigen Annahme, daß ich von Gummibändern zusammengehalten werde. Kreuz und quer sind die in meinem Inneren gespannt. An manchen Tagen hängen sie lok-ker durch, an manchen sind sie gespannt. Und oft ist eines am Zerreißen, und oft wetzt eins ums andere herum. Und das ist dann nicht zum Aushalten. An ungute Gummiband-gefühle in mir bin ich gewohnt. Was sich aber nun gummi-bandmäßig bei mir tat, hatte ich noch nie erlebt. Alle Gummibandeln spielten verrückt, zogen sich zusammen, zerrissen, verwurstelten sich zu einem Knoten, der löste sich wieder, die Bandelenden hakten sich wieder bei mir ein - alle parallel gespannt - wie die Saiten einer dreidimen-sionalen Harfe, und ich hatte das Gefühl, gleich werde einer kommen und auf der 3-D-Harfe spielen; irgendeine Zwölf-Ton-Komposition.
Die Joschi trat in unsere Diele, meine vier Wahnsinnswei-ber kamen zum Treppengeländer und linsten herunter.
»Was ist denn passiert?« fragte ich leise.
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Die Joschi lehnte den Kopf an meine Schulter, sie schluchzte nicht, sie sagte nichts, nur mein Hals und meine Hemd-brust waren im Nu waschelnaß von ihren Tränen.
Von der Treppe her rief meine Oma: »Olf! Olf! Olf!« Es hörte sich an wie das Bellen eines bissigen Bernhardiners.
Und der Bernhardiner schickte sich an, über die Treppe herunterzusteigen.
Da das Zimmer meiner Mutter von allen Räumen, die ich -
ohne am Bernhardiner vorbei zu müssen - erreichen konnte, das einzige war, an dessen Tür immer ein Schlüssel steckte, nahm ich die Joschi am Arm, bugsierte sie ins Mama-Zimmer und
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