Oliver Hell - Abschuss (Oliver Hells erster Fall) (German Edition)
nicht zu hause. Das geht seit mehreren Wochen so.“
„Du rufst ihn an. Du kontrollierst ihn? Das nennst du Liebe? Toll!“ Sie nestelte in ihrer D&G-Tasche und zog ihren Lippenstift und einen Strass besetzten Taschenspiegel heraus. Ihr Handy bimmelte. Sie legte die Schminkutensilien beiseite und widmete sich ihrem Smartphone.
Sandra sah, wie sich der Gesichtsausdruck ihrer Freundin veränderte. Sie flirtete mit einem neuen Lover. Carina hat keine Ahnung. Die sucht immer nur den nächsten Fick. Wieso sitze ich jetzt hier und schaue ihr beim Flirten am Telefon zu?
Sie hatte den Plan einen Detektiv damit zu beauftragen ihren Mann Daniel zu überwachen. Die Rückseite von Carinas Smartphone schillerte wie ein Kaleidoskop. Sie quietschte in ihr Telefon. Ein Detektiv. Darüber wollte sie mit ihr reden. Aber die Idee behielt sie lieber für sich. Carina würde sie nur auslachen. Sie war definitiv die Falsche für solch ein Vorhaben zu besprechen. Um nicht zu neugierig zu wirken, betrachtete sie den Marmor auf dem Tisch. Solange, bis er sich vor ihren Augen zu bewegen schien. Wie auf einem LSD-Trip.
Nachmittags nahm sie sich daheim die Gelben Seiten vor und rief den ersten Detektiv an, dessen Name ihr sympathisch war. Ihre Finger glitten über die Eintragungen. Dann hielt sie bei einem Namen inne und lächelte. Zeiger hieß er, Dimitri Zeiger. Sie fand den Namen sehr passend für einen Detektiv.
*
Tim Wrobel war groß, dünn, sehnig und fahrig. Er selber hätte sich als groß, dünn und sehnig beschrieben. Fahrig war er erst, nachdem er sich nur noch in der KTU aufhielt. Er schlief auf seiner unbequemen Couch im Arbeitszimmer, weil er es nach Hause nicht mehr geschafft hatte. Das jetzt schon die zweite Nacht in Folge. Alle Kollegen in der KTU waren in diesen Tagen sehr gut zu erkennen. Die Bleichen, Unausgeschlafenen, mit den dicken blauen Ringen unter den Augen, das waren sie. Sie leisteten eine immense Arbeit. Die beiden Wohnungen, der Tatort. Es waren hunderte Beweise zu sichten. Die Asservate stapelten sich wie ein undurchdringlicher Dschungel.
Jeder denkt heute, er weiß, wie ein Team von Tatortermittlern arbeitet. Nachdem man in den letzten Jahren dutzende von amerikanischen Fernsehermittlern durch CSI, CSI Miami und CSI New York begleitet hatte, war jeder zum Spezialisten geworden. Hier ein bisschen Luminol, da ein paar Stofffetzen in eine Zentrifuge gelegt, dort einem Fingerabdruck mittels Scanner einem Täter zugeordnet. Das alles war Fernsehen und hatte mit der Realität nichts gemein. Vieles ging sehr langsam, manchmal zu langsam.
Das Einzige, was Tim Wrobel mit einem seiner Fernsehkollegen gemeinsam hatte, waren seine roten Haare. Doch fehlte ihm die Coolness eines Horatio Caine. Er war ein verbissener Arbeiter, er sammelte Beweise. So lange, bis er definitiv zu einem Ergebnis kam. Einem Ergebnis, was auch vor Gericht gegen jeden windigen Verteidiger standhalten würde. Dafür war er bekannt. Und gefürchtet.
Dennis Seib, einer seiner Mitarbeiter, saß vor einem Haufen Büchern, Heften und Broschüren, die sie aus der Wohnung von Thorsten Flottmann geholt hatten. Sie ähnelten denen, die sie schon in der Wohnung des Mordopfers Lohse gefunden hatten. Einige waren sogar gleich.
Seib hatte schon viele Beweise in seinem Leben in die Finger bekommen. Aber diese hier waren etwas Besonderes. Die ganze Abteilung ging mit einer gewissen Abscheu an die Arbeit. So auch er. Wenn es bei der Ermittlung um ein Delikt an Kindern ging, war die ganze Ermittlung hochemotional. Jeder war bemüht, so schnell wie möglich Ergebnisse zu erzielen. Hier war es anders. Hier bekam man einen Blick in die Abgründe der menschlichen Psyche gestattet. Gerade hielt er eine Broschüre in der Hand, in dem eine Art Fotoreportage zu sehen war. Ein Mann, eine Ziege. Erst lebte die Ziege. Dann tötete der Mann die Ziege mit einem Messer. Er schlitzte dem Tier die Bauchwand auf. Er steckte seinen Kopf in die Öffnung und lief mit dem toten Tier auf seinen Schultern durch eine leere Halle. Der Mann war über und über mit Blut besudelt. Es sah so aus, als imitierte er die Schritte des Tieres, indem er die Pfoten mit seinen Händen bewegte. Der Kopf des Tieres pendelte dabei hin und her. Die toten Augen starrten noch erstaunt ins Leere.
Es sah so grotesk aus. Die einzelnen Bilder waren nicht vom selben Standort aufgenommen, was Seib verriet, dass jemand dabei gewesen war, der diese Aufnahmen gemacht hatte. Es gab einen Fotografen und
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