Oliver Hell - Abschuss (Oliver Hells erster Fall) (German Edition)
von Dachboden holen, die er dort versteckt hatte.
Hesses Gedanken gingen auf die Reise. Wieder befand er sich draußen im Wald. Er sah Lohse vor sich, sah sein verwundertes Gesicht, als der Pfeil in seine Brust eindrang. Er sackte zusammen, fluchte, beschimpfte ihn. Dann raffte er sich noch einmal auf und lief los. Nein, er taumelte. Was sollte das? Wollte er vor seinem Tod flüchten? Hesse folgte ihm langsam, die Armbrust hing locker in seiner rechten Hand. An einem Baum sackte Lohse zusammen. Er versuchte sich erneut aufzurichten, schaffte es aber nicht und blieb mit dem Rücken am Baum sitzen.
„Warum“, presste er hervor.
„Weil ihr es verdient.“
„Schwein.“
„Das sagt der Richtige“, sagte Hesse langsam. Lohse hörte ihn nicht mehr. Er war tot.
Der Hausbewohner mit dem Hund kam die Straße herunter. Der Hund blieb ständig stehen, die Nase auf dem Boden. Hesse stieg aus seinem Auto. Wie sollte er den Mann abpassen, wenn der verfluchte Köter überall schnüffelte. Er blieb stehen, tat so, als suche er eine bestimmte Hausnummer, trat kurz hinter dem Mann an die geöffnete Türe heran, schaute sich um, ob er beobachtet wurde, und drängte sich hinter dem Mann, der sich um nichts als um seinen Hund kümmerte, ins Haus. Er wartete, bis der in seiner Wohnung verschwunden war. Er wartete noch eine Weile, bis der Hund nicht mehr anschlagen würde. Dann schlüpfte er schnell die Treppe hinauf, öffnete geschickt das Vorhängeschloss, was den Speicher sichern sollte. In einer Ecke lagen die Bücher noch so, wie er sie dort abgelegt hatte. Gottseidank. Er nahm den Rucksack von der Schulter, packte die Bücher hinein und verschwand aus dem Haus genauso unbemerkt, wie er hineingekommen war.
Aus jedem Kriminalfilm kannte man diese Räume. In der Mitte ein Tisch und vier Stühle. Fahles Licht, keine Fenster, eine der Wände mit einer verspiegelten Fläche, hinter der man die Befragung aus dem Nebenraum heraus beobachten konnte. Das Befragungszimmer. So nannte man es humorlos. Tisch und Stühle waren im Boden verankert, falls mal einer auf die Idee kommen sollte, durchzudrehen, so konnte er damit schon mal nicht werfen. Auf einem der Stühle saß Flottmann. Sein massiger Körper steckte wie eine Wurst im Hot-Dog-Brötchen zwischen Stuhllehne und dem Tisch. Er schwitzte. Aus dem Nebenraum beobachteten ihn Wendt, Hell und Klauk. Sie waren sich noch nicht klar, wer anfangen würde.
„Er sitzt jetzt schon in der Klemme.“ Klauk lachte über seinen eigenen Witz. „Lach nicht, das ist eine bedauernswerte Gestalt“, antwortete Wendt.
„Eine Gestalt, die Tiere fickt und killt. Der ist krank. Und mein Mitgefühl bekommt er nicht.“
Wie seltsam dachte Klauk, der Bauchmensch ist härter als der Kopfmensch. Wendt schien wirklich milde gestimmt dem Menschen gegenüber, der dort schwitzend im Raum saß.
„OK, Klauk, sie fangen an.“ Hell versprach sich davon ein paar schnelle Antworten. Er hatte eine Stunde zuvor ein Gespräch mit Staatsanwalt Jakob Gauernack gehabt. Er traf ihn auf dem Flur. Der Staatsanwalt wollte wissen, was sie denn bislang ermittelt hatten. Hell druckste herum. Er konnte nicht wirklich Ergebnisse vorweisen. Es hing alles an der KTU. Gauernack zeigte Verständnis, als ihm Hell alle die Zusammenhänge erklärt hatte. Er meinte, er solle der KTU Druck machen und er würde einen Zwischenbericht erwarten. Hell würde seinem Kollegen Tim Wrobel, dem Leiter der KTU, nicht in seine Arbeit hineinreden. Gauernack würde seinen Bericht erhalten, wenn es etwas zu berichten gab.
*
Sandra Hesse schaute ihre Freundin Carina Korstian konsterniert an. „Ich kann mich nicht von Daniel scheiden lassen. Schon alleine der Kinder wegen.“
Carina war genervt. Das bekam ihr Kaffee zu spüren. Sie schob die Tasse mit einem Ruck von sich. Die schlitterte auf dem glatten Marmor der Tischplatte bis fast zur Mitte. „Warum bin ich dann hier?“
„Weil ich von dir einen Rat erhofft habe, nicht wieder diese Vorwürfe gegen Daniel.“
„Du bist bei deinen Eltern eingezogen, weil Du es mit ihm nicht mehr aushältst. Was soll dann noch eine Ehe mit ihm?“ Sie zog die verstoßene Tasse wieder zu sich heran.
„Weil ich ihn vielleicht liebe“, sagte Sandra.
„Und weshalb sitze ich jetzt hier?“ Carina zog ihre Schnute zusammen und wirbelte mit ihrem Zeigefinger über der Tasse herum.
Sandra beobachtete die Hand ihrer Freundin, schaute dann hoch. „Weil ich einen Rat brauche. Daniel ist nachts
Weitere Kostenlose Bücher