Oliver Hell - Abschuss (Oliver Hells erster Fall) (German Edition)
erklären. Hell rammte den Schlüssel ins Schloss, schob die Türe auf und hielt sofort inne. Im Wohnzimmer war Licht. Er war sich sicher, alle Lampen am Morgen ausgeschaltet zu haben. Der Fernseher lief, jemand zappte durch die Programme. Hell schloss die Türe, hängte seine Jacke auf den Garderobenständer in der Diele und trat ins Wohnzimmer.
Sein Sohn Christoph empfing ihn mit einem geraunten „Na endlich, ich warte seit Stunden auf dich.“ Er lag auf der Couch. Seinem Vater warf er keinen Blick zu, er zappte weiter durch die Programme.
„Hallo Christoph, wie geht es dir?“ Hell versuchte, seinen Ärger über die Begrüßung zu verbergen.
„Spar dir die Floskeln, mir geht es wie immer. Mir geht es beschissen. Aber das interessiert dich doch eh nicht wirklich.“ Er schaute weiter auf den Fernseher. Hell setzte sich. Nach dem Tag hatte er wirklich keine Lust sich jetzt auch noch mit seinem Sohn zu streiten. Es war mittlerweile halb elf.
„Gut, wenn du nicht willst, dass ich dich frage, wie es dir geht, dann frage ich dich direkt, was du willst.“
Zwischen seinem Sohn und ihm war alles in seiner Ordnung, keiner hatte den anderen missverstanden, keiner hatte aber auch die Beziehung der beiden wirklich verstanden. Christoph war seit Jahren drogenabhängig. Er hatte schon mehrere Aufenthalte in der Entzugsklinik in der Nähe gehabt. In der Nähe, wo jetzt der Mord passiert war. Danach ging es ihm regelmäßig besser. Bis zum nächsten Rückfall. Es begann dann wieder mit einer Vielzahl an Ausflüchten und Täuschungen, bis Hell bemerkte, sein Sohn log ihn wieder an. Dann trübte sich ihr Verhältnis wieder ein. Der letzte Aufenthalt in der Klinik lag zwei Monate zurück. Woher die jetzt plötzliche Panik kam, er könne erneut rückfällig geworden sein, lag im Verhalten seines Sohnes. Je aggressiver er sich zeigte, desto mehr musste man davon ausgehen. Was sollte er jetzt sagen? Die Wahrheit? Ja, am besten. Er hätte seine Angst äußern können, dass sein Sohn wieder rückfällig geworden sei. Doch tat er das nicht.
„Ich brauche Geld, dann geh ich direkt wieder und lasse dich hier in deiner Gruft alleine“, sagte Christoph ohne den Blick von der Mattscheibe zu nehmen.
Die Panik kam mit einem Mal. Diese plötzliche Angst um ein Kind. Hell hatte seinen Kollegen von der Drogenfahndung schon seit Jahren eingeimpft, wenn der Name seines Sohnes in Verbindung mit irgendeiner Straftat auftauchen sollte, sofort ein Anruf bei ihm zu erfolgen hatte. Nichts hatte er von den Kollegen je gehört. Zum Glück. Aber nun fuhr ihm die Angst in die Magengrube. Hätte er nicht bereits gesessen, er hätte sich setzen müssen.
„Geld?“ Hell schnürte es die Kehle zu.
„Ja, blödes Geld. Dann bist du mich wieder los. Ich störe dann dein wohlgeordnetes Leben nicht weiter. Das ist ja wohl das Wenigste, was ich von dir verlangen kann als mein Erzeuger.“
Hell kannte diese Sätze nur zu gut. Wenn Christoph etwas Bestimmtes wollte und er trotzdem seine Entfremdung von seinem Vater verdeutlichen wollte, dann nannte er ihn seinen ‚Erzeuger‘. Er wollte seinen Sohn fragen, ob er damit Drogen kaufen wolle, doch er tat es nicht.
„Wie viel?“
„Einhundert Euro.“
Hell griff an seine Gesäßtasche. Doch dort war sein Portemonnaie nicht. Es war in seinem Sakko, was auf dem Garderobenständer hing. Er stand auf und holte das Portemonnaie. „Ich kann dir fünfzig Euro geben. Wenn du morgen Abend noch einmal vorbei kommst, dann kann ich dir den Rest geben.“
„Och, mein armer Erzeuger. Er hat noch nicht einmal einhundert Euro zur Verfügung“, verspottete Christoph seinen Vater.
Hell stand da mit dem Fünfzigeuroschein in der Hand. Christoph warf die Fernbedienung auf den niedrigen Couchtisch, sprang über die Lehne, nahm im Vorbeigehen seinem Vater den Schein aus der Hand. „Bis Morgen, selbe Zeit. Ich bin da. Hoffentlich Du auch.“ Er beugte sich im Gehen leicht zu seinem Vater herüber. Der Satz klang wie eine Drohung.
Hell stand noch bestimmt fünf Minuten später regungslos da. Dann setzte er sich aufs Sofa. Seine Angst war jetzt der Peinlichkeit gewichen. Wie konnte es wieder so weit gekommen sein? Er schüttelte den Kopf über sein Verhalten und beschloss seinen Sohn am nächsten Tag direkt wegen seiner Ängste anzusprechen. Es dauerte lange, bis er einschlief.
*
Das Polizeipräsidium lag och in morgendlicher Stille. Die Nachtschicht machte verschlafen der Tagschicht Platz. Hell mochte diese
Weitere Kostenlose Bücher