Oliver Hell - Abschuss (Oliver Hells erster Fall) (German Edition)
eindringen. Aus einem Grund, den er nicht benennen konnte, war ihm wegen dieses Polizeischutzes trotzdem nicht wohl.
„Ist etwas passiert“, fragte er. „Nein“, antwortete einer der beiden Polizisten. „Ist bei Ihnen alles in Ordnung?“, fragte der andere. „Ja“, log er, „ich habe Medikamente genommen.“
Die beiden Polzisten wandten sich zum Gehen und die Türe fiel wieder ins Schloss. Er drehte den Schlüssel zweimal um und lehnte sich gegen die Türe. Er schnaufte. Polizeischutz. Für ihn. Er ging einige Schritte in Richtung Wohnzimmer. Da klingelte es erneut. Diesmal schaute er nicht durch den Spion, sondern schloss die Türe direkt auf. Er blickte völlig überrascht in die teilnahmslosen Augen eines fremden Mannes. Der trug eine schwarze Maske. Bevor er die Türe wieder zustoßen konnte, traf ihn der Mann mit einem länglichen Gegenstand am Hals. Er roch noch seine verbrannte Haut, bevor ihm schwarz vor Augen wurde.
Hesse versuchte, den schweren Körper aufzufangen. Doch das gelang ihm nicht. Flottmann sank in sich zusammen. Er wuchtete den Mann in die Wohnung und schloss die Türe hinter sich. Das war knapp gewesen. Er hatte schon vor der Türe gestanden, als die Polizisten von unten die Treppe herauf kamen. Wieder hatte er sich auf den Speicher geflüchtet. Und sofort die Gunst der Stunde genutzt. Wer weiß, ob er so leicht in die Wohnung hätte gelangen können und den Mann so einfach zu überrumpeln, wenn die Polizei nicht da gewesen wäre. Er fasste Flottmann bei den Armen, zog ihn ins Wohnzimmer. Dort ließ er ihn wie einen Sack liegen und öffnete die Gardinen. Für das, was er vorhatte, brauchte er Tageslicht. Es war jetzt Nachmittag. Es würde dauern, bis er seinen Plan umgesetzt hatte. Die Polizei gab ihm unfreiwillig Schutz. Er fand die Situation grotesk. Hesse musste lachen. Er fesselte den Körper mit dicken Kabelbindern an Händen und Füßen. Flottmann lag wie ein gestrandeter Wal auf dem Rücken. Der Stromstoß aus dem Bullenschocker hatte ihn völlig außer Gefecht gesetzt. Trotzdem schnitt er mit einem Messer ein großes Stück von einer Rolle Panzerband ab und klebte es dem Gefesselten auf den Mund. Die Waffe verschwand wieder im Rucksack und dafür kam wieder die Kiste mit der neuen Errungenschaft zum Vorschein. Ihn erfasste eine unbekannte Erregung. Mehr als bei der Ermordung Lohses. Anders. Als würde er eine Strafe verhängen. Eine Strafe Gottes.
Er suchte sich eine Steckdose. Er entwickelte das Kabel, schloss das Gerät an. Er zog sich Einmalhandschuhe an und begann mit der Arbeit. Dafür kniete er sich links neben dem Mann, setzte das Gerät auf der Haut an. Bald hatte er den ersten Buchstaben auf die Stirn tätowiert. Flottmann rührte sich während der ganzen Prozedur nicht. Hesse bemühte sich, keine Handschrift zu schreiben. Mehr krakelig als schön waren seine Worte. Alsbald wechselte er die Körperseite und saß jetzt rechts neben dem Mann. Nach einer Stunde war er fertig. Noch immer war Flottmann benommen. Hesse hatte Zeit. Die Stirn des Mannes war blutverschmiert. Doch konnte man die Worte gut entziffern. Mit Akribie putzte er sein Werkzeug sauber, verpackte alles wieder im Rucksack und warf schließlich auch die mitgebrachten Mikrofasertücher, mit denen er alles sauber gewischt hatte, in eine Plastiktüte, die er im Rucksack dafür mitgeführt hatte.
Schließlich schnitt er einen Streifen Stoff aus dem Bettlaken Flottmanns heraus und wickelte ihm den Streifen um die Augen. Dabei gab der ein leises Brummen von sich. Bald würde er wohl erwachen. Hesse saß neben seinem Opfer auf dem Boden und wartete. Das um den Kopf gewickelte Stück Stoff färbte sich langsam rot.
Um Viertel vor neun abends klingelte das Telefon der Zivilfahnder. Jemand stöhnte. „Los, das ist Flottmann“, rief der eine Polizist seinem Kollegen zu. Sie stürmten aus dem Wagen. Bei Flottmann öffnete niemand, also schlug Schell mit der flachen Hand auf alle Klingeln. Der Summer ertönte nach einer gefühlten Ewigkeit, die Beamten zogen ihre Waffen, liefen sich Deckung gebend die Stufen hinauf, fanden die Türe offenstehen. Sie fanden ebenso die ganze Wohnung leer vor.
Hesse wartete zusammen mit Flottmann, den er wie einen Tanzbär vor sich hergetrieben hatte, hinter der Türe zum Hof, die er nur angelehnt hatte. Sein Atem ging heftig und Schweiß lief ihm über das Gesicht. Er wartete, bis er wieder gleichmäßig atmete. Die Beamten standen immer noch tatenlos in der Wohnung.
In der
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