Oliver Hell - Abschuss (Oliver Hells erster Fall) (German Edition)
hier im Präsidium präsentiert, als sie es sich vorgestellt hatte.
„Sie fragen mich als Psychologin.“ Doktor Leck war zum Schlagabtausch bereit. Ein kurzes Blitzen durchzuckte ihre blauen Augen.
Hell beendete das Geplänkel zwischen Doktor Leck und Meinhold, indem er die Sitzung für beendet erklärte. Nachdem die brisante Stimmung aus den geöffneten Fenstern entweichen konnte, löste sich auch die Gruppe auf. Alle verschwanden schnell. Meinhold machte sich auf den Weg Hesses Frau erneut zu befragen. Wendt versuchte, Kontakt zu den Eltern aufzunehmen. Klauk nahm sich erneut die Bücher und Broschüren vor und suchte nach weiteren Bildern, auf denen der Mann mit den handgenähten Schuhen zu sehen war.
Meinhold holte sich einen Kaffee aus dem Automaten und schlenderte zum Aufzug. Als sie plötzlich jemanden neben sich spürte, drehte sie sich um. Doktor Leck stand unmittelbar neben ihr.
„Frau Doktor“, sagte Meinhold verlegen. Sie hatte nicht mit ihr gerechnet.
„Frau Meinhold“, sagte die Doktorin. Die Türe öffnete sich und beide Frauen traten ein. Sie standen nebeneinander und starrten gegen die Türe.
Doktor Leck räusperte sich und sagte: „Sie dürfen mich korrigieren, aber ich spüre eine zunehmende Feindseligkeit mir gegenüber. Haben Sie einen Grund dafür?“
„Feindseligkeit dürfte ich das nicht nennen. Aber ich sehe deutlich, dass es wie auch woanders in der Kriminalistik auch Spezialgebiete gibt. Ihres scheint nicht die Kinderpsychologie zu sein. Sonst? Nein sonst habe ich keinen Grund feindselig zu sein.“
Sie hob ihr Kinn keck nach oben und war froh, das so gesagt zu haben. Doktor Leck hörte ihr zu.
„Ach so, und woran machen Sie das fest?“
„Das kann ich Ihnen sagen. Es gibt diverse Untersuchungen, die einen Zusammenhang zwischen den neuen Medien, der kindlichen Entwicklung und der Überfrachtung mit Reizen in der frühkindlichen Lernphase sehen. Kinder adaptieren bei ihren Eltern. Dort sehen sie, dass Papa und Mama während dem Spielen mal eben Mails checken, mit dem Handy spielen, dies und das tun. Die Kinder ahmen das nach. Sie wollen auch gleichzeitig diese Dinge tun. Kaum ein Kind konzentriert sich mehr auf das Spielen. Schließlich kommt es so weit, dass man keinen klaren Gedanken mehr fassen kann, weil man tausend Sachen im Kopf hat, sich aber nicht wirklich auf eines konzentriert. Das hat Auswirkungen auch auf die Schule, die Kinder sind abgelenkt, stören, sind weniger aufnahmefähig, weil sie es nicht gewöhnt sind.“
„Aha, und sie denken, dass Sie mir damit etwas Neues berichten?“
„Ja, wenn ich ihre Ausführungen von gestern richtig im Ohr habe, dann stritten Sie es ab, das es dort Zusammenhänge gibt.“
Doktor Leck betrachtete sie mit zusammengekniffenen Lidern. „Ist das so? Ich erinnere mich da anders.“
„Ich darf Sie da korrigieren, es war so, wie ich es eben sagte.“
Die Aufzugtüre öffnete sich und Meinhold verabschiedete sich von Doktor Leck. Sie ging mit schnellen Schritten durch die Tiefgarage und öffnete schon aus fünf Metern die Türe des Insignia mit der Fernbedienung. War das eben ein Sieg gewesen? Es hatte sich wie ein Sieg in dem Rededuell angefühlt. Meinhold hatte nie nach einer Chefposition geschielt. Sie wollte gute Arbeit leisten und dafür anerkannt sein. Und sie war sich auch darüber bewusst, dass dies eng mit ihrem Elternhaus und ihrer Biografie zusammenhing. Sei‘s drum, dachte sie sich. Wenn ich eine gute Kommissarin bin, dann kann keiner etwas dagegen sagen. Auch ihre Eltern nicht. Sie hatte sich immer als wenig ehrgeizig eingeschätzt, aber mit dem heutigen Tag wurde ihr bewusst, in welche Richtung sich ihr Ehrgeiz in Zukunft richten würde. Sie würde versuchen sich in der Richtung Kriminalpsychologie weiterzubilden. Wenn sie den Fall Hesse abgeschlossen hatten, dann wollte sie ihren Chef fragen. In ihrem Team gab es niemanden, der so eine Verantwortung übernehmen könnte.
Sie schnallte sich an, ließ den Wagen an und war zehn Minuten später auf der Autobahn Richtung St. Augustin unterwegs. Die Klimaanlage gaukelte eine annehmbare Temperatur vor. Doch als sie vor dem Haus von Frau Hesses Eltern angekommen war und die Autotür öffnete, war die Hitze wieder unerträglich. Fast augenblicklich traten Schweißperlen auf ihre Stirn. Sie ging auf den im Schatten liegenden Hauseingang zu, als ihr Blick auf einen direkt vor dem Haus geparkten Ford Kuga fiel. Sie erinnerte sich nicht an das Kennzeichen von Bündgen.
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