Oliver Hell - Das zweite Kreuz
eine Laterne, doch war deren Licht nicht intensiv genug, um nach einem Versteck zu suchen. Das GPS-Gerät gab erneut einen Pieper von sich.
Der Lichtkegel bewegte sich langsam über das Gras. Nichts war zu sehen. Wendt bewegte sich nach links und rechts. Nein. Er stand direkt auf dem Punkt.
„ Mist“, fluchte er, kniete sich hin und legte die Taschenlampe so ab, dass sie die Stelle beleuchtete, wo er jetzt mit bloßen Händen begann zu graben.
Er zog kräftig an den Grashalmen, um festzustellen, ob der Boden vielleicht nur locker aufgelegt war.
Nichts bewegte sich. Er tastete sich voran.
Tatsächlich! Hier eine Handbreit weiter löste sich der Boden. Er hielt ein Stück Rasen in der Hand, zwei Handflächen groß. Der Strahl der Taschenlampe fiel auf eine kleine Plastikkiste.
„ Tupperware“, flüsterte er vor sich hin.
Er hob sie aus der Erde und wischte mit der Hand darüber; löste die Verschlüsse und öffnete sie.
Darin konnte er im Licht der Straßenlaterne einen gefalteten Zettel erkennen. Bevor er ihn herausnahm, wischte er sich die Hände ab und zog grüne Untersuchungshandschuhe an.
Er blinzelte, faltete das Papier auseinander.
„ Hallo! Es sollte jetzt vor 17 Uhr sein, damit ihr im Zeitplan seid. Ist es später? Schade. Trotzdem hier noch die nächste Koordinate: N50° 46‘ 08‘ E07 03‘ 54‘‘. Beeilt euch! “
Wieder dieser Spott! Es war jetzt halb acht. Mindestens zwei Stunden zu spät. Wenn nicht mehr. Erst fassungslos, dann mit pochendem Herzen und einer aufkeimenden Wut sah Wendt auf dieses Stück Papier in seiner Hand.
Er atmete dreimal tief durch, dann nahm er die Kiste, knickte die Verschlüsse wieder zu. Das Stück Gras bekam seine Wut zu spüren. Mit einem festen Tritt beförderte er es wieder an seinen Platz.
Das Handy in der Hand rief er Rosin an. „Hör mal Lea, der Arsch hetzt uns durch die Stadt. Ist Klauk da?“, raunte er ihr ins Ohr.
Rosin nickte und sagte dann schnell, „Ja, er ist da. Wie lauten die Koordinaten?“
Wendt faltete das Stück Papier auf der Tupperware-Kiste auseinander und las ihr langsam die Daten vor.
Sie brummte jedes Mal leise, wenn sie eine Zahlenkombination notiert hatte, wiederholte zum Schluss noch einmal die Kolonne. Klauk stand vor der Wand und pikte ein Fähnchen an die Stelle, an der Wendt den neuen Schatz entdeckt hatte. Zwinkernd peilte er in die Richtung, in der er die neue Koordinate vermutete. Im Bonner Norden.
„ Wenn er es wieder so macht wie beim ersten Mal, dann haben wir eine Koordinate, wo er etwas versteckt.
Wir sollten das SEK informieren“, murmelte er vor sich hin, „Ich meine, es gäbe dann ein zweites Kreuz.“
Rosin verstand sofort, was er meinte und wiederholte Klauks Gedanken laut, damit Wendt sie auch hören konnte.
„ Mag sein, aber wozu haben wir dann eine neue Koordinate erhalten? Wartet bitte noch mit dem SEK. Sagt ihnen, dass sie sich in Bereitschaft halten sollen. Die brauchen wir sicher noch. Langsam geht mir der Typ auf den Keks. Er hat wieder eine zynische Nachricht beigelegt!“
Er las den Text laut vor, den Adelberg noch mit auf den Zettel gepackt hatte.
„ Arsch“, sagte Rosin ungeschminkt.
Klauk musste unwillkürlich schmunzeln.
Wendt beendete das Gespräch mit den Worten, „Wir sehen uns im Präsidium.“
Scheiße. Hoffentlich schickt er uns nicht auf eine falsche Fährte, dachte Wendt, als er sich in seinem Mazda schraubte. Zutrauen würde ich es diesem Mistkerl. Wendt zwang sich ruhig zu bleiben, was bei dem Gedanken an die letzte Nachricht des Entführers nicht so einfach war.
*
Hell ordnete sofort eine Hausdurchsuchung bei Cornelia Adelberg an. Gauernack würde das auch im Nachhinein absegnen. Unter normalen Umständen hätte er dort nicht mit Franziska Leck, sondern direkt mit der halben Bonner Polizei anrücken müssen. Diese Gedanken schossen ihm durch den Kopf, als er mit seiner Gefangenen auf der Fahrt ins Präsidium war. Die Fahrt verlief schweigend. Weder er noch die Profilerin sagten etwas. Frau Adelberg saß im Fond des Mercedes. Hell gefiel ihr selbstgefälliger Zug um den Mund überhaupt nicht.
Es war beinahe ein Lächeln, was einen Wissensvorsprung als Grundlage hatte. Sie wusste, wo ihr Sohn die Geiseln gefangen hielt. Davon war Hell überzeugt. Franziska Leck ebenso. Doch war sie sich darüber im Klaren, dass diese Frau ihr Geheimnis lieber mit ins Grab nehmen würde, als es preiszugeben. Irgendeine Tatsache ließ die Frau daran glauben, dass ihr
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