Oliver Hell - Das zweite Kreuz
lag. Dazu eine graue Flanellhose, einen grauen Gürtel mit feiner Schließe und graue Schuhe. Hell kannte diese Art der Kleidung von Frauen der besseren Gesellschaft, die auf einen besonderen, dezenten Chic Wert legten. Er persönlich bevorzugte eher einen sportlicheren Kleidungsstil bei Frauen.
Auf dem Weg ins Esszimmer überlegte er, wann er das letzte Mal von einem Verdächtigen so stilvoll zum Tee eingeladen wurde.
Noch nie.
Corinna Adelberg bat sie Platz zu nehmen und schenkte den Tee ein. Es herrschte eine greifbare Stille.
„ Milch, Zucker? Sie bedienen sich bitte.“ Ihre Freundlichkeit war nicht gespielt.
Hell suchte nach den passenden Worten. Es war ihm beinahe peinlich, diese Frau der Beihilfe an drei Entführungen zu verdächtigen. Aber so schien es nun zu sein.
„ Frau Adelberg“, fing er an und suchte Halt im Blick von Franziska, „Ich muss Ihnen eine Frage stellen. Wo waren Sie am Freitag zwischen zwölf und dreizehn Uhr?“
Sein Ton und der Inhalt der Frage kamen ihm fürchterlich profan vor.
„ Herr Kommissar, wir beide wissen doch, wo ich war. Im Zentrum für Luft – und Raumfahrt. Dort habe ich im zweiten Stock ein DIN-A4 Blatt in den Kopierer gelegt, was Sie wohl jetzt gefunden haben.“
„ Ja, das haben wir gefunden. Aber das bedeutet gleichzeitig, dass Sie mit ihrem Sohn zusammenarbeiten, Frau Adelberg.“
Sie schaute erst zu Franziska Leck herüber, dann mit festem Blick in Hells Augen.
„ Das, Herr Kommissar, müssen Sie erst einmal beweisen. Ich habe mir einen Scherz erlaubt und ein Blatt Papier in einen Kopierer gelegt. Was Sie daraus schließen, ist ihre Sache.“ Hell hatte den Eindruck, dass nicht viel fehlte und sie würde einen Freudentaumel ausbrechen.
„ Frau Adelberg, bei allem Respekt, wir sind nicht hier, um zu ihrem Amüsement beizutragen. Es geht um zwei vermisste Menschen. Es geht um einen Toten. Wir können nachweisen, dass ihr Sohn Ingo damit in ursächlichem Zusammenhang steht. Sie machen sich schuldig an der Beihilfe zum Mord und des schweren Menschenraubes.“
Seine Worte verhallten im Raum. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich nicht.
Franziska schüttelte unmerklich den Kopf, drückte beide Augen kurz zu. Sie war sicher, diese Frau würde keinen Deut zurückweichen. Sie hieß es für gut, was ihr Sohn tat. Aus welchen Gründen auch immer.
„ Ich rede jetzt nur noch in Gegenwart meines Anwaltes mit Ihnen, Herr Kommissar. Denken Sie nicht, ich sei Ihnen jetzt gram. Nein, Sie tun ihren Job.“
Ihre Worte klangen teilnahmsvoll.
Hell schob seine Teetasse in Richtung Tischmitte. Dabei schwappte etwas Tee über den Rand auf die Untertasse. Selbst das brachte sie nicht aus der Fassung. Hell stand auf, griff nach den Handschellen.
„ Frau Adelberg, ich nehme Sie fest unter dem dringenden Verdacht eine schwere Straftat zu begünstigen, sowie der Beihilfe an einer Entführung und der Beteiligung an einem Mord.“
Auch diese Worte hinterließen keinerlei Wirkung. Sie hielt ihm die Hände ausgestreckt entgegen.
„ Ich denke nicht, dass das notwendig sein wird“, sagte Franziska Leck und schob Hells Hand zurück.
Corinna Adelberg goutierte das mit einem Augenaufschlag.
Sie stand auf, nahm eine mittelgroße Reisetasche vom Stuhl an der Wand und sagte: „Ich wäre dann so weit.“ Sie hängte sich die Tasche über die Schulter.
Weder Hell noch Dr. Leck war diese Tasche bisher aufgefallen. Die Frau hatte mit ihrer Verhaftung gerechnet und bereits gepackt. Dieses Verhalten imponierte ihm, doch konnte er es nicht zugeben.
Wortlos verließen die Drei das Haus. Sie drehte zweimal den Schlüssel im Schloss herum.
*
Kapitel 10
N50° 40‘ 17‘‘ E07 10‘ 39‘‘
Wendt hatte schnell ein Industriegebiet in Bonn Pennenfeld als neue Koordinate ausgemacht. Er war jetzt auf der Höhe einer Moschee, die rechts an der Galilei-Straße lag. Auf seinen Knien lag das GPS-Gerät. Ein Blick verriet ihm, dass er sein Ziel beinahe erreicht hatte. Er schnalzte aufgeregt mit der Zunge.
„ Beeilt euch!“ Die Worte des Entführers klangen in ihm nach.
Sie hatten Zeit verloren.
Zu viel Zeit?
Ein langer Piep-Ton erklang direkt an der Einmündung des Pennefeldweges. Er stoppte abrupt den Mazda, fuhr rechts auf eine Grasfläche. Der Motor erstarb.
Er hatte die Koordinate erreicht, seine Türe flog auf und der schlaksige Wendt schälte sich aus seinem kleinen MX5.
In der Hand hielt er eine Taschenlampe. Direkt an der Straßeneinmündung stand zwar
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