Oliver Hell - Das zweite Kreuz
mehr so weit.“
Als sie in die Röhfeldstraße einbogen, schaltete sie die Sirene aus. Mittlerweile war es Viertel nach neun Uhr abends. Obwohl es ein reines Industriegebiet war, achtete sie auf die Anwohner außerhalb des Gebietes.
„ Bitte langsamer“, sagte Klauk, als sie auf Höhe eines Fliesengeschäftes angekommen waren, „Stopp!“
Rosin trat in die Bremse.
Klauk stieg aus, sie blieb im Auto sitzen und überlegte, ob sie die Regenjacke nach dem letzten Gebrauch wieder in den Kofferraum gelegt hatte oder nicht.
Klauk verschwand hinter einem Busch. Sie sah ihn nicht mehr. Der Scheibenwischer sorgte für klare Sicht. Aber nur für ein paar Sekunden, dann war wieder alles voller Tropfen. Die Beifahrertüre stand offen.
Klauk stand vor dem Busch. Hier hatte das Gerät gepiept. Das letzte Mal, bevor es ausging.
„ Verdammt“, sagte er. Schütteln. Er drückte wieder auf den Einschaltknopf. Nichts passierte. Das Gerät war tot. Lag es am Regen, oder waren die Batterien am Ende?
Hoffentlich ist es die letzte Koordinate, dachte er, sonst sind wir am Arsch.
Er tastete den Boden ab. Nichts.
Der Regen lief ihm über die Brille. Er nahm sie ab und schüttelte sie ein Mal. Die Sicht wurde nicht besser.
Er stand auf und begann den Strauch zu untersuchen. Tastete zwischen den Zweigen nach etwas, was dort nicht hingehörte.
Er tastete weiter.
Ja. Da war etwas. Er zog daran. Schmal. Leicht. Wieder ein Plastikumschlag? Der Strauch hatte viele kleine Äste. Schließlich hielt er den Umschlag in Händen. Er rannte zum Auto, hechtete hinein.
„ Hier, schau mal, was er schreibt!“, sagte er beinahe atemlos. Man konnte durch den Plastikumschlag lesen, was auf dem Papier stand. Diesmal nicht in Schreibmaschinenschrift, sondern in ausgeschnittenen Buchstaben.
Dort stand: „Ziel erreicht! Jetzt aber los!“
Keine neue Koordinate!
„ Weißt Du, was das heißt? Wir können das zweite Kreuz anpeilen“, sagte er, „Wir haben einen Zielpunkt!“
„ Genau, ja. Wie sagte Hell immer, packen wir das große Besteck aus.“
„ Ja genau.“
Warum auch immer, Klauk stieg aus und wählte die Nummer von Wendt.
Der Regen perlte ihm über die Haare. Er merkte es nicht. Zweimal klingeln, dann war Wendt dran.
„ Jan-Philipp, die letzte Koordinate war die letzte Koordinate. Wir können die Kreuzpeilung machen. Hörst Du! Wir haben das Schwein!“
Wendt atmete tief ein.
„ Wow. Endlich. Ich sage dem SEK Bescheid. Ich melde mich, wenn ich die Kreuzpeilung abgeschlossen habe.“
Knacken. Wendt war weg.
„ Los! Fahren wir in Richtung Bad Godesberg. Dort muss irgendwo der Kreuzungspunkt liegen“, sagte Klauk und warf sich triefnass auf den Beifahrersitz.
*
N50° 42‘ 08‘‘ E07° 09‘ 30‘‘
Auf der anderen Rheinseite hatte es keinen Tropfen geregnet.
Auch an der Donatusstraße nicht. Dort lag ein Neubaugebiet, in dem viele typische neue ‚Architektenhäuser‘ entstanden waren. Kubische, weiß gestrichene Flachdachbauten, mit einem kleineren Obergeschoß. Dort gab es keine gewachsene Ortsstruktur, die Anwohner waren sich fremd. Keiner kannte seinen Nachbarn und achtete auf ihn. Ideal, um sich dort unbemerkt einzunisten.
Wendt hatte die neue Kreuzpeilung blitzschnell erledigt. Der Kreuzungspunkt wanderte jedes Mal etwas mehr nach Osten. Jetzt lag er in Bonn-Plittersdorf.
Was gab es dort in der Nähe? Eine Kirche, die Stimson Memorial Chapel. Weiter entfernt die Vereinten Nationen.
Hell informierte das SEK, das sofort ausrückte. Alle Zufahrtsstraßen würden gesperrt.
„ Sorgt dafür, dass nicht einmal eine Maus entwischen kann. Wir haben eine große Herausforderung vor uns. Ich will keine Pleite erleben, verstanden?“
Sein Ton war eigentlich unangemessen, doch erinnerte er sich daran, dass es eben genau dieser Einsatzleiter war, der beim Einsatz gegen Hesse einen Unfall fabrizierte. Mit dem Ergebnis, dass Meinhold beinahe ums Leben kam, weil sie nur zu dritt in der Halle waren. So etwas durfte diesmal nicht wieder passieren.
Wendt und Franziska Leck waren bereit.
„ Wir fahren mit einem Auto, Jan-Philipp. Franziska, ich möchte, dass Du hier im Präsidium bleibst. Der Einsatz kann sehr gefährlich werden.“
Ihr Blick widersprach seinen Worten. Sie setzte zu einer Frage an.
„ Stell jetzt bitte keine Fragen, Franziska!“
„ Aber ich …“, fing sie erneut an.
„ Bitte!“ Hells Blick hatte etwas Flehendes.
„ In Ordnung“, sagte sie, doch überzeugt klang
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