Oliver Hell - Das zweite Kreuz
Telefon.
„ Wir kümmern uns darum. Bleiben Sie bitte ruhig, man kommt bei Ihnen vorbei, wenn das in Ordnung ist für Sie?“
„ Ja, sicher, deswegen rufe ich doch an. Sie müssen meinen Mann suchen und ihn finden. Das verlange ich von Ihnen“, fügte sie mit sich überschlagender Stimme noch hinzu. Dann war die Leitung plötzlich tot. Der Beamte stutzte. „Hallo?“, sagte er noch einmal, doch es blieb dabei. Die Frau hatte aufgelegt.
„ Immer diese verrückten Weiber, die schon durchdrehen, wenn der Göttergatte mal eine Stunde zu spät nach Hause kommt“, sagte er zu seinem Kollegen.
„ Wer sitzt denn oben?“, fragte der zurück und betrachtete seinen Kollegen müde.
„ Lessenich ist außer Haus, Hell ist oben, wenn wir den mit so einem Pillepalle nerven, dann springt er uns ins Gesicht.“
„ Es bleibt uns nichts über, oder willst Du es selber machen?“
„ Nein, bloß nicht“, maulte der Beamte und drückte auf den Knopf, der die Kurzwahl zu Hells Büro herstellte.
Das Telefon klingelte. Hell, Klauk und Rosin sprachen gerade über die Vernehmung Agayers. Hell nahm das Telefon, hörte zu und beobachtete Rosin dabei die ganze Zeit über. Sie konnte sehen, wie sich seine Züge langsam verfinsterten. Bald hatte er die Augen zu Schlitzen zusammengekniffen.
„ Und die Adresse?“, fragte er, nachdem er sich den Namen der Frau auf den Zettel vor sich gekritzelt hatte. Er schrieb einige weitere Hieroglyphen auf den Zettel. Keiner außer ihm konnte das lesen.
„ Noch eine Kleinigkeit. Haben Sie gefragt, was der Mann von Beruf ist?“
Er lauschte noch auf die Antwort, dann legte er das Mobilteil auf den Aktenstapel. Hell seufzte.
„ Jetzt haben wir den Salat“, sagte er mit immer noch zusammengekniffenen Augen.
„ Was?“
„ Eine Frau hat ihren Mann als vermisst gemeldet. Er ist von einem Seminar nicht nach Hause gekommen. Jemand muss da mal hinfahren, um sie zu beruhigen.“
„ Was ist der Mann denn von Beruf?“, fragte Klauk.
„ Er hat ein Bestattungsunternehmen mit angeschlossener Sargtischlerei“, sagte Hell.
Klauk nickte gedankenverloren.
„ Das passt“, sagte er.
„ Was passt?“, fragte Rosin. Auch Hell schaute ihn verständnislos an.
„ In der Zigarrenkiste waren Sägespäne. Das Foto zeigt die gefesselten Hände eines Mannes. Sagt uns das was?“, sagte Klauk und hielt den Kollegen sein Handy vor die Nase.
„ Wahnsinn“, antwortete Hell, „Hoffentlich hast Du nicht Recht, Sebastian.“ Klauk wischte gerade über das Display, ein weiteres Bild erschien. Darauf war das Foto des Mannes alleine zu sehen.
Man konnte eine Armbanduhr erkennen, zwar nur schemenhaft, aber es würde womöglich ausreichen, um es der Frau des vermissten Mannes vorzulegen. Dann war zu hoffen, dass sie darauf etwas erkennen konnte. Die Uhr könnte den Ausschlag geben. Entweder hatten sie dann einen Entführungsfall, und zwar einen der besonderen Art, oder die Zigarrenkiste mitsamt ihrem Inhalt verblieb weiter im Reich der Spekulation.
„ Sebastian, nimm bitte Lea mit und fahrt zu dieser Adresse hier“, sagte Hell und reichte Klauk den Zettel. In der Bewegung stoppte er. „Das kann keine Sau lesen.“
Nachdem er die Adresse erneut in Schönschrift aufgeschrieben hatte, reichte er den Zettel über den Tisch.
Sein nicht sonderlich begeisterter Blick folgte den beiden, als sie das Büro verließen. Wenn Klauk Recht behielt, dann war dies eine Entführung mit einem ganz besonderen Charakter. Besonders daran war die Tatsache, dass die Polizei noch vor den Angehörigen von der Entführung Kenntnis hatte. Hell überlegte. Nein, von so etwas hatte er noch nie gehört. Er konnte soeben der Versuchung wiederstehen Franziska anzurufen, um sie nach ihrer Meinung zu fragen. Doch warum sollte er schon jetzt die Pferde scheu machen?
Hell beugte sich über den Schreibtisch und schaute nach draußen. Entgegen der Vorhersage hatte es wieder begonnen zu schneien. Irgendwo in den unergründlichen Windungen seines Kriminalistengehirnes verbanden sich unbemerkt einige Synapsen.
*
Das Gebäude, indem Karsten Olbrichs sein Bestattungsunternehmen hatte, lag in der unmittelbaren Nachbarschaft des Friedhofes in Bonn Oberkassel. Gutgehende Bestattungsunternehmen lagen immer fußläufig zu den Friedhöfen. Früher wollte dort niemand wohnen, außer denen, die von Hause aus schon mit den Toten zu tun hatten.
Der Scheibenwischer fegte die Scheibe auf Stufe eins so eben noch frei. So dicht war das Schneetreiben
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