Oliver Hell - Das zweite Kreuz
Unternehmen blieb. Das war Anfang der achtziger Jahre. Der Betrieb lief gut, aber nicht überragend. Neunzehnhundertsiebenundneunzig starb sein Partner bei einem Autounfall unter ungeklärten Umständen.“
Hell blickte an der Stelle von seinen Papieren auf. Klauk verstand seinen fragenden Blick. „Ja. Er fuhr gegen einen Baum. Am Auto war kein Defekt festzustellen. Die Polizei wertete es danach als Selbstmord. Beinahe zeitgleich bekam seine Frau eine Depression und verbrachte danach in den folgenden Jahren viel Zeit in Rehakliniken. Und ich kann aus Erfahrung sagen, es hat nicht viel genützt. Olbrichs hat immer auf recht großem Fuß gelebt. Seine Kapitaldecke ist nicht sehr üppig. Also, ich hätte ihn nicht als Opfer für eine Entführung ausgewählt. Da gibt es lohnendere Ziele.“
Klauk war fertig. „Irgendwelche teuren Vorlieben? Hat er Leichen im Keller?“, fragte Hell.
„ Kann ich nicht sagen, dafür hatte ich zu wenig Zeit. Wenn ich mehr erfahren soll?“
„ Nein, das reicht vorerst einmal aus. Wir haben ja offiziell keinen Fall. Also zu viel stöbern wirbelt vielleicht Wind auf. Und Wind darf Gauernack nicht zu spüren bekommen.“ Mit einer missgelaunten Geste lehnte er sich in seinem Sessel zurück.
„ Ich frage mich manchmal, ob Gauernack auf unserer Seite steht.“
Hell warf ihm einen bedeutsamen Blick zu. „Gauernack spielt in einer Liga mit nur einem Verein.“
„ Na, dann sind wir ja schon zwei, die so denken.“ Klauk putzte seine triefende Nase.
„ Chef, wenn nichts mehr anliegt, dann würde ich nun gerne gehen. Ich muss das hier bekämpfen, solange es noch geht“, sagte Klauk und hielt ihm das Taschentuch hin.
Hell nickte nur kurz.
„ Verschwinde. Wir sehen uns morgen früh. Gute Besserung, Sebastian.“
Klauk wedelte nur mit dem Taschentuch, als er das Büro verließ.
*
N50° 40‘ 36‘‘ E07 06‘ 47‘‘
Nur ein kleines Detail änderte alles. Mit der Post kam ein weiterer Brief an. Hell informierte sofort den Staatsanwalt und bat darum, dass auch Brigitta Hansen anwesend war. Erst dann würde er den Brief öffnen.
„ Das werde ich Ihnen nicht vergessen, Hell“, raunte ihm Gauernack zu. Sie warteten auf Brigitta Hansen.
„ Warum? Ich hole mir nur eine Rückversicherung.“
„ Rückversicherung? Sie stellen mich bloß.“
„ Sie hatten die Wahl. Hätten Sie vorgestern bereits auf mich gehört, dann wären wir schon vorbereitet. Aber so?“
„ Auf Sie hören, Hell? Damit habe ich schlechte Erfahrungen gemacht. Erinnern Sie sich?“, zischte er bitter.
„ Einmal in hundertmal. Keine schlechte Quote, oder?“
Gauernack wollte noch etwas sagen, als die Türe aufging.
„ Meine Herren, worum geht es?“, fragte Hansen, als sie in Hells Büro hineinrauschte.
„ Guten Morgen Frau Oberstaatsanwältin Hansen, guten Morgen“, sagte Hell. Gauernack murmelte auch einen verkniffenen Gruß.
„ Kommen wir zum Thema“, sagte sie, „Ich habe gleich eine Sitzung.“
Hell zeigte auf den Brief, der vor ihm auf den Tisch lag.
„ Es geht um diesen Brief, Frau Oberstaatsanwältin. Es ist der zweite Brief, den wir in der Art erhalten. Den Ersten bekamen wir vorgestern. Er enthielt Koordinaten, an deren Stelle fanden wir eine Kiste mit einem Foto. Dieses Foto zeigte gefesselte Hände. Alleine wäre das noch nicht so gravierend. Doch wurde am gleichen Tag eine verschwundene Person gemeldet. Bei der Überprüfung stellte mein Kollege fest, dass es sich bei dem Mann auf dem Foto und bei dem Verschwundenen um ein und dieselbe Person handeln könnte. Er trug eine ähnliche Armbanduhr.“
„ Warum wurde keine Ermittlung eingeleitet?“ Sie blickte ihn streng an.
„ Da müssen Sie ihren Kollegen Gauernack fragen“, sagte Hell.
Sie drehte sich zu Gauernack herum. „Soll das heißen, Sie haben die Ermittlung unterbunden?“
Gauernack blickte zu Boden. „Ja“, sagte er kleinlaut.
„ Herr Kommissar, bitte öffnen Sie diesen Brief. Sofort.“ Ihr Blick sprach Bände.
Hell zog sich Handschuhe an, nahm den Brieföffner und schlitzte das Briefkuvert auf. Wieder war auf dem Kuvert mit einer Schreibmaschine die Adresse vermerkt. Er zog den Zettel an einer Ecke hervor. Er entfaltete ihn und legte ihn vor sich auf den Tisch.
Koordinaten.
Wie im ersten Brief. Sonst nichts.
„ Das reicht mir. Informieren Sie mich, was sie dort gefunden haben“, sagte sie und an Gauernack gewandt: „Auf ein Wort, Herr Kollege. Draußen, bitte.“
Wie ein geprügelter Hund
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