Oliver Hell - Das zweite Kreuz
sich erstaunt ab, murmelte eine Entschuldigung und schloss die Türe schnell wieder hinter sich. Einen Moment hielt er inne. Noch nie war er in eine solche Situation geraten. Sein Sohn hatte nie Frauen mit nachhause gebracht. Mädchen ja, aber keine Frauen. Die junge Frau, die sich gerade mit ihm auf dem Bett vergnügte, mochte sogar älter sein als Christoph. Wieso auch nicht, dachte er. Sein Sohn war ja kein Kind mehr. Die Überraschung war trotzdem groß.
Mit schweren Schritten stieg er wieder die Treppe hinauf. Im Kühlschrank fand er noch eine Pizza. Da nicht damit zu rechnen war, dass sein Sohn und seine Begleitung sich zum Essen einfinden würden, schaltete er den Backofen ein und legte nach einer Weile die Pizza hinein. Er stellte einen Kurzzeitmesser auf acht Minuten und setzte sich auf das Sofa im Wohnzimmer. In der Hand hielt er sein Telefon. Nach einem kurzen Zögern wählte er die Nummer von Franziska.
*
N50° 41‘ 26‘‘ E07 10° 17‘‘
Die Ermittlungsgruppe traf sich an diesem Tag gegen halb acht. Dennis Seib nahm an der Sitzung teil und gab eine knappe Zusammenfassung von dem, was die KTU in den letzten Stunden herausgefunden hatte. Seine Kollegin Böhm hatte ihm aufgetragen, den Ermittlern die Kontodaten verbunden mit der Bitte um einen Gerichtsbeschluss übergeben. Klauk fragte vorsichtig, ob die Presse von der erneuten Entführung informiert werden würde. Hell verbot den Kollegen, mit der Presse zu sprechen. Ohne den Schimmer einer Ahnung wollte er nicht vor die Presse treten. „Wann wollen wir denen denn was sagen?“, fragte Klauk.
„ Erst dann, wenn wir einen Tatverdächtigen haben und was vorzeigen können. Kannst Du was vorzeigen, Sebastian?“
Klauk wich erschrocken zurück. Hells Laune war nicht gut an diesem Morgen. Er wirkte nachdenklich und schaute auf den Boden. Die Nacht war beinahe schlaflos gewesen. Grundlos. Trotzdem hatte er sich in seinem Bett hin und her gewälzt. Daher war er aufgestanden und hatte sich ein Glas Milch geholt. Gegen drei Uhr nachts wollte sich die junge Frau aus dem Hause schleichen. Christoph und sie kamen die Treppe hinauf. Hell hatte im Wohnzimmer gestanden, in der Hand das Glas Milch. Sie hatte dem Vater ihres Freundes einen schüchternen Blick zugeworfen. So wie jemand schaute, der sich ertappt fühlte. Hell gefiel dieser Blick. Hätte sie ihm einen anderen Blick zugeworfen, Hell hätte Zweifel an der jugendlichen Unbekümmertheit gehabt. Doch dieser scheue Blick war positiv.
Christoph schob sie vor sich her und drängte sie dazu, nach einem kurzen Gruß, den sie Hell zuwarf, zu gehen. Christoph gab ihr einen flüchtigen Kuss auf den Mund.
„ Wie kommt sie heim?“, fragte Hell.
Christoph deutete nach draußen. „Sie hat ein Auto.“
„ Entschuldigung, ich wusste ja nicht …“, sagte Hell.
„ Schon gut. Halb so schlimm“, sagte er. In seinen Augen glaubte Hell, eine Art Stolz zu erkennen.
„ Nett sieht sie aus.“
„ Nett ist die kleine Schwester von Scheiße. Sie ist nicht nett, sie ist eine Granate“, sagte Christoph und lehnte lässig an einem der Sessel.
Hell lachte. „Ja, da magst Du recht haben. Sie ist eine Granate.“
„ Aber Papa, bitte jetzt immer klopfen, wenn Du zu mir kommst, ja?“
„ Ja, gut.“
„ Ich habe sicher auch noch Zeit für dich“, tröstete Christoph seinen Vater.
Hell wusste, was er meinte. Warum sollte Christoph nicht dasselbe Recht haben wie er? Franziska war ebenso in Christophs Leben geplatzt, wie jetzt die junge Frau in Hells Leben.
„ Wie heißt sie, die Granate?“
„ Jasmin heißt sie“, sagte er und schob sich langsam und träge vom Sessel weg, „Ich geh jetzt ins Bett, Papa. Schlaf gut. Bis morgen.“
Auch danach hatte Hell keinen Schlaf gefunden.
Das hing ihm auch jetzt noch um die Füße. Nachdem alle ihre Aufgaben erhalten hatten, suchte er ein Gespräch mit Wendt.
„ Was denkst Du über den Fall, Jan-Philipp? Ist das nicht alles fürchterlich chaotisch?“ Wendt nickte. Sie gingen in Hell Büro herüber. Als sie sich gerade setzen wollten, klingelte das Telefon. Hell fuhr zusammen und starrte das Telefon an. Wendt blieb mit auf der Lehne abgestützten Armen sitzen. Habtachtstellung. Warum auch immer, den beiden Ermittlern war klar, dieser Anruf bedeutete nichts Gutes.
Hell nahm den Hörer ab. Wendt beobachtete seinen Chef. Kein Zweifel. In dessen Augen konnte er lesen, dass etwas passiert war. Hell hörte gespannt zu.
„ Es gibt einen neuen Brief. Die Beamten
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