Oliver Hell - Das zweite Kreuz
wollte dass auch nur noch einmal von dir hören, Sebi. Was anderes. Fandest Du nicht auch, dass unser Chef eben recht genervt war?“, fragte sie und blieb an der Auslage der Bücherei gegenüber dem Café Göttlich stehen.
Er zeigte über seine Schulter zum Café herüber. „Er wurde bei seinem Entspannungsspaziergang gestört. Dort wollte er hin.“
Rosin schaute sich um und blickte dorthin, wo Klauks Zeigefinger hinwies.
„ Aha“, sagte sie, und blätterte weiter in einem Bildband über die Toskana, „Warst Du schon einmal im Frühling in der Toskana?“
„ Ja“, antwortete Klauk kurz, „Nichts Besonderes.“
Ihm schoss die Erinnerung an einen Urlaub mit seinen Eltern durch den Kopf. Frühjahr zweitausendeins. Klauk war damals siebzehn.
„ Toskana ist Kultur pur, mein Sohn. Das kann dir nicht schaden“, hatte sein Vater mit dem üblichen, ironischen Unterton gesagt. Der Urlaub war eine einzige Katastrophe. Es gab einen Streit nach dem Anderen und eine deftige Ohrfeige von seinem Vater mitten auf der Piazza in Siena. Tags drauf reiste die Familie heim. Es war der letzte gemeinsame Urlaub.
„ Es gibt Leute, die jedes Jahr dorthin fahren. Bist Du sicher?“
„ Sicher. Nichts Besonderes“, wiederholte er dumpf. Rosin bemerkte, dass Klauk wieder seinen ‚Frag-mich-bloß-nicht-weiter-Tonfall‘ hatte. Daher beließ sie es dabei.
„ Lust auf ein paar Donuts?“, lenkte sie mit einem fröhlichen Blick und einer Drehung auf dem linken Fuß vom Thema ab. Sie hoffte, die Spiegelneuronen würden eine positive Arbeit leisten. Doch das Gesicht Klauks strahlte nicht zurück. Er bemerkte, dass sie es bemerkte. Lange konnte er nicht mehr mit dem Schatten des Elternhauses leben. Etwas sollte schnell passieren. Sehr schnell.
*
Sie überlegte, wer seinen alten Pass, seine Heiratsurkunde und andere Dokumente an einem solchen Platz aufbewahren würde. Sie hielt eine verschlissene Pappkiste in der Hand. Die Leiter, auf der sie stand, wackelte bedenklich. Sie legte den Deckel wieder auf die Kiste und stieg die Stufen herunter. Dann machte sie ein paar Schritte und stand wieder außerhalb des Ankleidezimmers von Rosalie Lindemann. Sie legte die Kiste auf das Bett.
Der Pass sah beinahe neu aus, war aber bereits vor über zehn Jahren abgelaufen. Auf dem Bild lächelte ihr eine flotte Mittvierzigerin entgegen. Der Name der Dame war Rosalie Limbach.
Limbach, Lindemann. Da hatte sich ja nicht viel verändert, dachte Heike Böhm mit einem Lächeln. Auch auf der Heiratsurkunde war derselbe Name vermerkt. Dazu gab es noch ein paar Ausweispapiere. Sie öffnete einen Asservatenbeutel und steckte die Dokumente hinein.
Die aktuellen Ausweisdokumente, den Führerschein und weitere Versicherungsdokumente hatte sie in der Kommode im Schlafzimmer gefunden. Eine ziemliche Weile hatte sie mit der Suche nach einem Safe verbracht. Vergebens. Es gab keinen, was sie in einem solchen Haus für seltsam erachtete. Sicher war das auch der Grund, warum die Papiere der Frau an einem solchen Ort versteckt worden waren.
Ganz nebenbei hatte sie auch die Dokumente von Herrn Alfons Lindemann gefunden, dem verstorbenen Ehemann von Frau Lindemann. Darunter waren auch ein paar Sparbücher und es gab einen Hinweis auf ein Schließfach. Mit einem Gerichtsbeschluss würde man auch hier Einsicht erhalten.
Kapitel 6
Er resümierte auf dem Nachhauseweg den Stand der Ermittlungen. Die Vorgehensweise war die Gleiche, auch wenn es interessante Unterschiede gab. Absolut neu und bisher noch nie da gewesen in der Geschichte der Polizei Bonn war die Tatsache, dass sie von einer Entführung ausgingen, ohne einen konkreten Beweis zu haben. Einzig die Koordinaten und die Leonardo-Kopie ließen eigentlich keinen Zweifel daran aufkommen.
Der Porsche Panamera war in der Garage der KTU angekommen. Nichts Auffälliges hatte Seib erwähnt. Im Kofferraum fand man ein Paar Joggingschuhe.
Hatte Dr. Walters noch Zeit gehabt, die Schuhe zu wechseln? Die Frage war eigentlich nicht wichtig. Was zählte, war die Tatsache, dass er verschwunden war. Seine Frau war tot. Damit konnte der Entführer nicht rechnen, was auch immer er mit den Menschen plante, die er in seine Gewalt gebracht hatte. Was alle drei Entführungen gemeinsam hatten: Er hatte sich jeweils viel Zeit genommen, alles war akribisch geplant. Das ließ auf einen intelligenten, strukturierten Täter schließen. Die ganze Entführungsserie war gut geplant. Wahrscheinlich von langer Hand. Wo auch immer der
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