Oliver Hell - Das zweite Kreuz
Vieles konnte man einfädeln, doch machte einem die menschliche Psyche bisweilen einen Strich durch die Rechnung. Er gab sich bis zum Ende dieser Schallplattenseite Zeit eine Entscheidung zu fällen.
*
Hell war überrascht, wie leicht es gewesen war, Gauernack davon zu überzeugen, Wendt an seiner Stelle bei der Pressekonferenz anwesend sein zu lassen. Es hatte ausgereicht, ihm zu erklären, dass Wendt ganz einfach langsam an kommende Aufgaben herangeführt werden sollte. Schließlich war es nicht absehbar, wie lange er sich mit der Rolle als Stellvertreter begnügen würde. Gauernack hatte es abgenickt.
Dennoch stand er in der hintersten Reihe als stiller Beobachter, als Hell und Wendt gegen halb zwei Uhr auf ihren Stühlen Platz nahmen.
Wie zu erwarten, überfluteten die anwesenden Journalisten die beiden Ermittler mit tausenden von Fragen. Die regionalen Zeitungen hatten größtes Interesse daran, das Schicksal von Dr. Walters auf die Titelseite zu hieven. Doch benötigten sie dafür detaillierte Angaben der Polizei.
Wendt versuchte, mit seinen Angaben keinen ausufernden Spekulationen Nahrung zu geben. Trotzdem machte er darauf aufmerksam, wie wichtig es war, die Polizei zu unterstützen. Es wurde der Presse ein Bild des Mercedes übergeben. Falls jemand in der betreffenden Nacht den Wagen beobachtet hätte, sollte er sich bei der Polizei melden.
Viele Details der Entführungen hatte er aber nach Absprache mit Hell in der Schwebe gehalten. Alle zu weit gehenden Fragen wurden mit dem Hinweis auf ermittlungstechnische Gründe abgewimmelt. Sicher war die Presse darüber nicht glücklich. Schließlich hatten die Vertreter aber einsehen müssen, dass sie gegen das dosierte Schweigen der beiden Beamten nichts ausrichten konnten.
Hell, der, während Wendt sich um die Antworten kümmerte, die Zeit genutzt hatte, um sich im Raum umzusehen, entdeckte auch in der letzten Reihe den Staatsanwalt. Ebenso bemerkte er seinen alten Bekannten Christian Maier.
Nachdem Wendt die Pressekonferenz für beendet erklärt und sich bei den Anwesenden bedankt hatte, verschwand neben den Journalisten auch Gauernack. Mit Wohlgefallen bemerkte das Hell.
„ Gauernack war auch da. Hast Du ihn bemerkt?“, fragte Wendt und sammelte seine Akten zusammen.
„ War nicht anders zu erwarten. Aber ist er wohl zufrieden, sonst würde er jetzt vor uns stehen und uns zu texten“, antwortete Hell mit einem Seitenblick.
Hell blickte auf seine Armbanduhr. Es war kurz vor zwei Uhr. Um halb drei würde sich die Gruppe zu einem kurzen Austausch treffen. Bis dahin war noch Zeit für einen Kaffee und einen Schokoriegel aus dem Automaten.
„ Wir sehen uns um halb im Besprechungsraum?“, fragte Wendt.
Hell nickte. „Ich brauche ein paar Minuten frische Luft.“
Wendt grinste und nahm seine Akten unter den Arm. Hell blickte ihm hinterher, wie er kurz drauf die Türe hinter sich schloss.
Mit langsamen Schritten ging er los. Seine schlechte Laune hatte sich aufgelöst. Stattdessen war er nachdenklich geworden. Der Grund für seine schlechte Laune hatte blaue Augen und üppige Brüste. Jasmin. Die neue Freundin seines Sohnes. Hell war nicht besitzergreifend. Doch hätte er gerne die wenige Zeit, die ihm durch seinen Job übrig blieb, nicht noch mit einer Frau teilen müssen. Aber wie konnte er das seinem Sohn begreiflich machen? Mit Worten war so etwas nicht zu vermitteln. Während Wendt sich mit den Journalisten duellierte, kam ihm ein Gedanke. Diesen Gedanken wollte er am Abend in die Tat umsetzen.
Mit stiller Vorfreude trat er durch die Türe an die frische Luft. Er schrak zusammen, als er plötzlich von der Seite angesprochen wurde.
„ Ich hoffe nicht, dass sich hier eine Wachablösung ankündigt, Herr Kommissar?“
Neben ihm stand Christian Maier und streckte ihm die Hand entgegen.
„ Mensch müssen Sie mich so erschrecken?“
„ Entschuldigung, das wollte ich nicht.“
„ Guten Tag erst mal. Nein, ich kann Sie da völlig beruhigen. Ich tauge noch für mehr, als zum alten Eisen.“
„ Na gottseidank. Nachdem, was da vor kurzem passiert ist, hatte ich schon meine Befürchtungen“, sagte der Journalist. Hell hielt es für ehrlich, was er sagte. Trotzdem hatte er keine Lust auf ein Gespräch.
„ Können wir es kurz machen? Ich habe gleich ein Team-Meeting. Was kann ich für sie tun?“
„ Ja, das weiß ich im Moment auch nicht“, sagte Maier und holte ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche. Er klappte die Schachtel auf, bot Hell
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