Oliver Hell - Das zweite Kreuz
plausiblen Grund für die Entführung der beiden Männer.“
Wendt schüttelte langsam den Kopf. „Nicht nach zwanzig Jahren.“
„ Wieso nicht nach zwanzig Jahren?“
„ Weil man so lange nicht wartet.“
„ Es sei denn, man erfährt es erst nach dieser langen Zeit“, sagte Rosin sehr sicher.
Klauk stieß die Luft aus. „Wenn deine Vermutung stimmt, dann sind wir einen Schritt weiter. Wie hat Frau Adelberg reagiert, als ihr es erwähnt habt? War sie überrascht?“
„ Wir haben die Exhumierung nicht erwähnt.“
„ Sie muss zustimmen als Angehörige.“
„ Nein, das muss sie nicht“, sagte Rosin selbstsicher, aber es klang zickig. „Laut Strafprozessordnung §87 darf man eine Ausnahme machen, wenn der Untersuchungszweck dadurch gefährdet wird.“
„ Du hast ihr gegenüber einen Verdacht? Dann wäre sie auch entführt worden. Oder?“ Klauk runzelte die Stirn.
Rosin setzte sich auf einen der Stühle, nachdem sie die ganze Zeit am Fenster gestanden hatte. Sie verschränkte die Arme hinter dem Kopf und rutschte ein Stück nach vorne.
„ Verdacht? Nein. Aber sie hat keinen Grund irgendetwas zu verhindern, was die Aufklärung eines Verbrechens an ihrem Mann begangen, verhindern könnte.“
Wendt holte tief Luft. „Sondern?“
„ Ganz einfach, wenn sie davon weiß, dann wird sie den Täter womöglich warnen. Da sollten wir dran denken.“
„ Du bist dir aber verdammt sicher, Lea. Ist das nicht alles etwas voreilig? Du machst alles an einem kurzen Besuch und einer noch nicht erfolgten Exhumierung fest, bei der das Ergebnis bislang reine Spekulation ist. Was sagt Hell dazu? Wo ist der überhaupt?“ Klauk schaute auf seine Armbanduhr. Als könne er dort ausmachen, wo sich sein Chef aufhielt.
„ Hell? Der ist bei Gauernack. Der Staatsanwalt soll einen Richter überzeugen, den Beschluss zu unterzeichnen“, sagte Rosin.
„ Alle Wetter“, sagte Klauk. In seiner Hand hielt er sein unvermeidliches Taschentuch.
Hell saß im Büro des Staatsanwaltes. Der Ledersessel war sehr bequem und Hell hatte seine Beine übereinandergeschlagen. Gauernack hatte seine Augenbrauen hochgezogen und die Mundwinkel sinken lassen. Immer ein wenig mehr, je länger er Hell zugehört hatte.
Jetzt war er im Büro von Brigitta Hansen verschwunden.
„ Das ist mir zu heikel. Da möchte ich Rückendeckung haben.“ Mit den Worten hatte er Hell sitzen lassen. Seit zehn Minuten war er jetzt schon im Zimmer der Oberstaatsanwältin.
Auf dem Tisch des Staatsanwaltes sah Hell eine Box mit Taschentüchern.
Die Zeit verging.
Er trommelte mit den Fingern auf der Lehne des Sessels. Hinter der Türe waren Stimmen zu hören. Die Türe schwang auf und Oberstaatsanwältin Hansen trat in den Raum.
Hell sprang auf und gab der Anwältin die Hand. Sie setzte sich auf die Kante des Schreibtisches.
„ Kommissar Hell, das ist aber ein ganz schöner Brocken, den sie sich da vorgenommen haben. Eine Exhumierung ist immer ein sehr pressewirksamer Vorgang. Wenn bei der Obduktion nichts Brauchbares herauskommt, haben wir wieder einen Haufen negativer Presse. Da will ich mir sicher sein, dass wir genügend Beweise für so eine Aktion haben.“
Hell blieb stehen und stellte sich hinter den Sessel. Erst jetzt wurde ihm klar, dass es aussah wie eine Barriere, die er so gegen die Oberstaatsanwältin aufgebaut hatte.
„ Beweise haben wir keine, Frau Oberstaatsanwältin. Eher eine Befürchtung.“
Sie legte ihren Kopf leicht schief. Reckte ihre Schultern nach vorne.
„ Sie verlangen von mir, aufgrund einer Befürchtung die Totenruhe eines Menschen zu stören?“
Ihre rechte Augenbraue zuckte leicht.
Hell hasste es, so ins Blaue hinein zu argumentieren. Er legte die Fingerspitzen aufeinander.
„ Es ist so. Der Arzt, der den Totenschein für Günther Adelberg ausstellte, war Heinz-Theo Walters. Der Beerdigungsunternehmer hieß Karsten Olbrichs. Das sind unsere Entführungsopfer eins und zwei. Das ist unsere Befürchtung, Frau Oberstaatsanwältin. Dort wurde womöglich ein Mord vertuscht.“
Oberstaatsanwältin Hansen brauchte lange, bis sie etwas sagte. „Hmh.“ Es entstand eine Pause.
„ Ich weiß nicht, ob ich einen Richter mit diesen dünnen Vermutungen überzeugen kann. Aber ich werde es versuchen. Bleiben Sie erreichbar, Herr Kommissar.“
Hell nickte ihr zu. „Danke.“ Er sah sie an.
Ihre Augen funkelten.
„ Danken Sie mir erst, wenn ich meine Arbeit getan habe. Wir hören voneinander.“
Hell und Gauernack schauten
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