Oliver Hell - Das zweite Kreuz
dass es heute einen Toten geben wird. Sie sagte es voraus.“
„ Naja, wir haben bisher nur eine neue Koordinate. Noch keinen Toten“, erwiderte Wendt.
„ Wetten?“, fragte Hell.
„ Chef, seit wann sind Sie so wettfreudig?“
Es war nicht schwer zu erraten, woher das kam. „Ich kenne Franziskas prophetische Fähigkeiten“, antwortete er.
„ Wo ist sie?“, fragte Wendt.
„ Sie wartet im Auto. Fahren wir zusammen?“
„ Ja, Seib und Böhm sind schon unterwegs.“ Wendts Miene war teilnahmslos. Hell vermutete aber, dass er das gleiche vermutete wie er auch. Sie würden dort das erste Opfer des Entführers finden. Mit dem Mordanschlag an Emilie Walters hatte jemand seine Marschrichtung vorgegeben. Und wer zweifelte daran, dass es sich hier um denselben Täter handelte. Alles andere wäre ein purer Zufall.
„ Eine Leiche bringt vielleicht etwas Licht in das gähnende, schwarze Loch, was dieser Fall bis jetzt darstellt“, sagte Wendt.
Hell gefiel diese Bezeichnung für den Fall sehr gut.
„ Das wissen wir noch nicht, aber wir sind dabei, es herauszufinden.“
Auf dem Weg zum Beerdigungsinstitut von Karsten Olbrichs herrschte eine bedrückte Stimmung im Auto. Franziska Leck versuchte, die Beamten aufzumuntern.
„ Ich hätte gar nicht gedacht, dass Du eine so gute Figur beim Fußball machen würdest“, sagte sie in Anspielung auf das Spiel, was Hell und sein Sohn noch am Abend geführt hatten.
„ Ach ja, Du traust mir ja nicht viel zu“, antwortete Hell mürrisch.
„ Du bist nicht mehr der Jüngste. Dein Sohn ist dreißig Jahre jünger.“
„ Weiß ich. Was willst Du?“
„ Dir ein Kompliment machen, du Dickschädel.“
„ Fußball?“, fragte Wendt neugierig von der Rücksitzbank, „Habe ich etwas verpasst?“
Franziskas Plan ging auf. Bis sie vor dem Gebäude von Olbrichs Beerdigungsinstitut angekommen waren, musste Hell erzählen, wie er sich im Keller mit seinem Sohne ein heißes Fußball-Duell geliefert hatte. Franziska hatte dem Treiben der beiden Männer von der Türe aus amüsiert zugesehen.
„ Warum willst Du Polizist werden, Christoph?“, fragte Hell, während er mit dem Ball am Fuß auf seinen Sohn zu dribbelte.
„ Warum nicht? DU bist es doch auch.“ Er klaute seinem Vater den Ball vom Fuß und schoss den Ball aufs Tor seines Vaters. Er traf.
„ Es ist doch nicht wichtig, was ich bin. Es geht darum, was Du sein willst? Seit wann findest Du meinen Beruf so interessant? Das ist noch nicht lange so. Ich erinnere mich doch da richtig?“ Er fischte den Ball aus dem Tor und lief auf Christoph zu. Mit einer Finte täuschte er den Jungen und legte den Ball mit Links ins Netz seines Sohnes.
„ Wichtig ist, dass Du dich für mich interessierst und ich mir Gedanken um meine Zukunft mache, oder?“
Hell nickte. „Ja, das ist es. Also gut, aber Polizist muss es nicht sein. Wie wäre es mit Psychologe?“ Er lächelte vielsagend zu Franziska hinüber.
„ Ich soll ein Psycho-Onkel werden? So wie Franziska?“ Er lachte laut. Dr. Franziska Leck ebenfalls.
„ Ja, das ist ein spannendes Feld, Christoph“, sagte sie, „Wärst Du Psychologe, dann würdest Du dich jetzt gerade tierisch darüber freuen, wie gut sich ein Vater und ein Sohn verstehen können.“
„ Tun wir das?“, fragte Christoph mit dem Ball in der Hand.
„ Ja, das tut ihr.“
„ Dank dir, Franziska.“
„ Och, manchmal bedarf es nur eines kleinen Anstoßes“, antwortete sie zufrieden.
Als ihnen Heike Böhm auf der Treppe des Beerdigungsinstitutes begegnete, war sie bleich wie Kreide. Trotzdem es ein warmer Morgen war, jedenfalls für einen Tag im März, hatte sie ihren Kragen hoch bis ans Kinn gezogen.
„ Was haben wir?“, fragte Hell.
„ Das …“, sie stockte, „Das schauen Sie sich besser selber an, Herr Kommissar.“
Hell schaute kurz zu Franziska herüber. Er wollte ihr nicht zumuten, etwas womöglich Entsetzliches zu sehen. Sie verstand ihn und seine Sorge. Doch ihr Blick war fest.
Sie traten durch die Türe.
Vom Hauptraum des Institutes war ein kleiner Vorraum abgeteilt. Dort standen auf Podesten mehrere Urnen. Es gab in einem Plexiglasständer eine Menge Broschüren, die sich mit dem Thema Beerdigung befassten. Nichts in diesem Vorraum überraschte Hell.
Der Raum war keine Vorbereitung auf das, was sie im Ausstellungsraum erwartete. Für jemanden, für den der Tod an sich oder das pure Ansehen von Särgen schon einen Schrecken bedeutete, waren sicher die acht
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