Oliver Hell - Das zweite Kreuz
sagte Hell. Das Letzte, was er sah, waren die gebeugten, leicht zuckenden Schultern des Gerichtsmediziners.
Noch auf der Fahrt ins Präsidium holte Hell das Handy hervor und rief bei Stephanie Beisiegel an. Er bat sie, sich selber in die Untersuchung einzuschalten.
Eine Stunde später stürmte Dr. Beisiegel mit ihrem Untersuchungskoffer in der Hand in den Schauraum des Beerdigungsinstitutes. Ihr Gruß war mit Abstand das Freundlichste, was sie an diesem Tag noch zu ihrem Kollegen sagte. Ihr Wochenende war geplatzt.
Sie versuchte erst gar nicht, ihre schlechte Laune zu verbergen.
Hell sollte es Recht sein. Er wollte Ergebnisse, da konnte man sich nicht auf die Befindlichkeiten eines Gerichtsmediziners einlassen. Berechenbarkeit. Dr. Beisiegel war berechenbar. Selbst unter Druck konnte sie hervorragende Ergebnisse erzielen. Und es galt jetzt, schnell solche Ergebnisse vorweisen zu können. Gauernack saß ihm im Nacken.
*
Die Wohnung war riesig. Vier Zimmer mit einem großen Bad. Sie besaß allerdings einen winzigen Verschlag, den die Maklerin als Küche definierte. Es gab noch nicht einmal ein Fenster. Ein großes Loch gähnte oben in der linken Ecke. Das sollte der Anschluss für die Dunstabzugshaube sein.
Für Lea Rosin war das Ganze ein gehöriger Dämpfer für ihre Euphorie. Da half auch nicht der kleine Balkon zur Straße hin, den man ihr anpries. Auch nicht die bleiverglasten Schiebetüren, die die beiden Wohnzimmer voneinander trennten. Ebenso nicht die Stuckdecken, die sie ja so liebte.
Zugegeben, das alles waren sehr schöne Details. Die Maklerin erzählte ihr noch, dass man ja keine perfekte Wohnung fände, Abstriche müsse man überall machen. Doch Rosin hört ihr bereits nicht mehr zu.
„ Tut mir leid, aber hier kommen wir nicht überein, Frau Fischer. Ich bin eine leidlich gute Köchin, das hier ist mir definitiv zu klein. Vielen Dank für ihre schnelle Reaktion“, sagte Sie und hielt der Maklerin ihre Hand hin.
„ Moment“, sagte sie auf eine charmante und lässige Art, „Wenn Sie noch einen Moment Zeit haben, dann zeige ich Ihnen noch eine andere Wohnung. Die ist noch gar nicht in der Vermittlung. Wenn wir Glück haben, ist der jetzige Mieter daheim und erlaubt uns einen kurzen Besuch. Erlauben Sie mir einen Anruf?“
Sie hielt das Handy hoch. Rosin glotzte darauf, als würde dort schon jemand mit ihr sprechen wollen.
„ Sicher, ja“, sagte sie überrascht.
Die Maklerin gab nicht so schnell auf. Das gefiel ihr. Die Frau wischte mit ihrem Finger über das Display, dann hielt sie das Smartphone an ihr Ohr. Als sich jemand meldete, riss sie den Mund auf und machte große Augen. Der Anruf war von Erfolg gekrönt.
„ Die Wohnung ist nur ein paar Häuser weiter in dieser Straße.“
Sie verließen das Gebäude, gingen die Straße in Richtung der Wohnung von Christina Meinhold entlang. Wenn das jetzt im Haus von Chris ist, dann flippe ich aus, dachte Rosin. Auf Höhe der Hausnummer des Hauses, in dem Christina wohnte, blieb die Frau stehen und beobachtete den Verkehr.
„ Kommen Sie, das Haus ist direkt gegenüber“, sagte sie. Meinhold blieb stehen und schaute sich das Gebäude an. Dann drehte sie sich um und betrachtete das Haus, in dem Christina wohnte.
„ Frau Rosin, hier herüber“, rief Frau Fischer schon von der anderen Straßenseite. Sie winkte ihr zu.
„ Ja“, sagte Rosin.
Frau Fischer klingelte, der Summer dröhnte. Im Treppenhaus empfingen sie ein Mosaikfußboden und Holztreppen. Rosins Herz hüpfte ein wenig vor Freude. Im zweiten Stock schaute sie flüchtig durch das hohe Flurfenster. Christinas Wohnung lag genau gegenüber. Sie stapften noch eine Etage höher. Dort stand die Etagentüre schon offen.
Ein gut gekleideter Herr erschien genau in dem Moment, wo sie vor der Türe ankamen. „Frau Fischer, so schnell habe ich gar nicht mit ihnen gerechnet“, sagte er mit einem sehr angenehmen Tonfall.
Rosin sah nur langgliedrige Finger und einen muskulösen Unterarm, der aus dem Pullover hervorstach. Rosin mochte schmale Hände und lange Finger. Ein Frauending. Wieso wohnten solche attraktiven Männer nicht bei mir in der Nähe, dachte sie.
Oder ziehen einfach aus.
„ Angenehm, Schuster, kommen Sie doch herein“, sagte der Mann und schon spürte sie seine Hand. Ein fester Händedruck. Sie erwiderte seinen Händedruck. Sehr angenehm. Blaue Augen funkelten ihr entgegen. Er zog sie förmlich in die Wohnung hinein. Rosin sah hohe Decken,
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