Oliver Hell - Das zweite Kreuz
Türe.
„ Hallo, ich wollte mich erkundigen, wie es ihrer Schwester geht“, sagte er an Sven-Ferdinand Walters gewandt. Der Polizistin hielt er seine Polizeimarke hin. „Ich bin ein Kollege, wir ermitteln in diesem Fall.“
„ In Ordnung“, sagte die Beamtin und entspannte sich wieder.
*
Im Ausstellungsraum des Beerdigungsinstitutes von Karsten Olbrichs arbeiteten die Ermittler der KTU fieberhaft. Dazwischen arbeiteten Dr. Beisiegel und ihr Kollege schweigend. Man hatte das Kreuz mitsamt dem Leichnam in die Mitte auf den Gang gelegt. So konnten die beiden KTU-Kollegen zusammen mit Seib genauer die Blutspritzer an der Wand untersuchen. Der Kopf Olbrichs hing seitlich von der aufrechten Holzstrebe herunter. Die Augen waren zugeschwollen, es gab weitere Verletzungen im Gesicht, die von Schlägen herrühren konnten.
Ebenfalls fiel ihr auf, dass er Fesselmale an den Handgelenken hatte, ebenso an den Knöcheln. An den Knöcheln der rechten Hand gab es Abschürfungen. Das linke Handgelenk war verletzt, der Daumen stand in einem ungesunden Winkel ab. Sie versuchte, ihn zu bewegen. Die Leichenstarre hatte schon eingesetzt.
Dr. Beisiegel zog das Leichenhemd hoch. Plötzlich hielt sie in der Bewegung inne. Auf dem blassen, teigigen Bauch des Toten war etwas geschrieben.
Blutrot. Die Doktorin stand auf, tippte ihrem Kollegen auf die Schulter, der verwundert die Augen aufriss.
„ Was bedeutet das?“, fragte er verdattert. Seine Lider flatterten.
„ Ein Ultimatum“, antwortete Beisiegel schmallippig, drehte sich mit einer ruppigen Bewegung um und zog ihr Handy hervor. Sie rief Hell an.
Der ging schnell dran. „Wir haben ein neues Ultimatum. Mit Blut auf den Bauch geschrieben. Eine ‚vierundzwanzig‘ steht dort. Wir haben nicht viel Zeit, Oliver!“
Hell schluckte. „Damit war irgendwie zu rechnen. Er gibt Gas, der Entführer. Sag mal, kannst Du was zum Todeszeitpunkt sagen?“
„ Die Totenstarre ist voll ausgebildet. Also innerhalb der letzten sechs bis zwölf Stunden. Wenn wir wissen, wie lange das Blut schon an der Wand klebt, kann man es bestimmt noch genauer sagen. Wir sind hier noch eine Weile beschäftigt mit der Untersuchung. Die KTU rödelt auch mit allen Kräften.“
„ Sehr gut, Stephanie. Halt mich auf dem Laufenden, bitte!“
Ein nervöses Räuspern signalisierte Dr. Franziska Leck, dass Hell etwas gegen den Strich ging.
„ Was?“
Er schaute ihr in die Augen. „Wir haben ein neues Ultimatum. Erneut vierundzwanzig Stunden.“
„ Ihr seid dem Entführer zu nah gekommen, daher wird er aggressiver.“
„ Das ist die eine Möglichkeit“, sagte Hell.
„ Und die andere?“, fragte Leck.
„ Das gehört zu seinem Plan. Er hat von vornherein alles geplant, was er nun umsetzt. Auch der forcierte zeitliche Ablauf. Alles geplant.“
„ Im schlimmsten Fall bedeutet das, die Geschichte würde zu seinen Bedingungen weitergehen.“
„ Was plant er? Geht er so weit, die anderen beiden Opfer ebenfalls zu töten? Olbrichs starb durch einen Genickbruch. Sag mir, passt das zu seinem Charakter?“
Franziska fühlte ihren Puls im Hals schlagen. Wie würde ein solcher Mensch töten? Hell sagte kein Wort, doch spürte sie, seine Aufforderung zu sprechen.
„ Es kann sein, dass er sich nicht damit begnügen wird, Olbrichs getötet zu haben“, sagte sie.
„ Ist das eine Theorie?“
„ Ja“, sagte sie langsam.
„ Wie belastbar?“
„ Ich gehe davon aus, er mordet in einer Reihenfolge. Das letzte Opfer wird derjenige sein, den er für den Verantwortlichen für etwas hält.“
„ Ja, Franziska. Hoffentlich hast Du nicht Recht. Rache, Selbstjustiz. Ich halte es hier nicht mehr aus. Lass uns wieder ins Beerdigungsinstitut fahren. Vielleicht finden wir dort irgendetwas, was auf Walters oder Lindemann hinweist. Das Warten hier macht mich kirre. In Ordnung?“
Franziska nickte.
Seine Haltung verriet einen Anflug von Resignation. Er massierte flüchtig seine Schläfen und nahm die Jacke vom Stuhl.
Sie hoffte, er würde sich nicht zu sehr von dem Fall forttragen lassen.
*
Die Befürchtungen von Sven-Ferdinand Walters traten ein. Seine Schwester schlief immer noch. Doch hatte sich in dem Raum einiges verändert. Ihre Vitalwerte wurden mittlerweile überwacht. Hinter ihrem Bett stand ein Monitor. Ihre Blutwerte gaben Anlass zur Besorgnis. Der Arzt sprach mittlerweile davon, sie in ein künstliches Koma zu versetzen. Sie wollten noch bis zum Nachmittag abwarten.
Klauks Blick haftete auf
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