Oliver Hell - Der Mann aus Baku (Oliver Hells zweiter Fall) (German Edition)
länger aufhalten, vor allem nicht mit solchen Details langweilen.“
Die Drei verabschiedeten sich von Dr. Beisiegel. Sie wü nschte ihnen eine gute Nacht.
Drauß en vor der Türe des Gebäudes der Gerichtsmedizin blieben sie stehen. Auf dem Parkplatz gegenüber, der tagsüber immer gerammelt voll war, stand noch ein Auto.
„ Ich bin immer froh, wenn ich dort wieder diese Türen hinter mir geschlossen habe. Besonders heute“, sagte Wendt. Er atmete tief durch.
„ Ja, das ist schon eine ganz eigene Atmosphäre in so einer Pathologie. Ich könnte dort nicht arbeiten“, bestätigte Klauk. Er schüttelte den Kopf.
„ Aber wir können froh sein, dass wir die Bestätigung haben. Es ist nicht unser Chef“, sagte Rosin und schob einen Stein, der auf dem Bürgersteig lag, mit dem Fuß hin und her.
„ Ja. Stimmt. Mir ist jetzt auch Wohler“, sagte Klauk. Wendt nickte.
„ Hells Sohn und Dr. Leck sind in Sicherheit. Das ist das Wichtigste. Noch eine Entführung wäre schlimm. Was können wir noch tun? Eigentlich nichts. Morgen statten wir Mamedov einen intensiven Besuch ab. Ich werde auch darauf dringen, dass Agayer wieder überwacht wird. Wir wissen nicht, in welches Auto die Entführer umgestiegen sind. Sie könnten Hell schon nach Holland gebracht haben. Nur so als Beispiel. Wir gehen nun alle heim. Schlaf wird uns gut tun“, sagte er.
Man merkte ihm an, dass es nicht seine gewohnte Rolle war. Er brauchte sonst nicht d elegieren. Jetzt musste er es.
Er nahm die Kollegen mit zum Prä sidium, wo sie in ihre eigenen Fahrzeuge umstiegen. Fünf Minuten später waren alle auf dem Weg nach Hause.
*
Hells Handkanten schmerzten. Er hatte an der Betonkante der Türe den Kabelbinder durchgescheuert. Jetzt hatte er wieder die Hände frei und rieb sich die Gelenke. Doch hielt er sich damit nicht lange auf. Er stützte sich ab und begann den Kabelbinder an den Füßen zu bearbeiten. Er lag auf dem Rücken und rieb nicht nur den Kabelbinder, sondern auch die Absätze der Schuhe über die Betonkante. Anders ging es nicht. Nur so konnte er auch der Plastikfessel beikommen. Nach fünf Minuten hatte er es geschafft. Er kam frei. Sofort setzte er sich auf den Boden, bewegte langsam die tauben Knöchel. Dann stand er auf und machte einige unsichere Schritte. Taumeln. Das Blut zirkulierte wieder, die Füße kribbelten, als liefen Tausenden Ameisen darin herum. Nach einer Minute hatte er wieder Vertrauen in sein Standvermögen. Langsam hüpfte er auf und ab.
Als das Kribbeln nachließ, nutzte er die wiedergewonnene Bewegungsfreiheit um eine eingehendere Untersuchung der Wände vorzunehmen. Er tastete sich voran, in der Hoffnung etwas zu erfühlen, was er gefesselt nicht fühlen konnte. Er tastete die Wände von oben nach unten ab. Nichts. Bis er zur Türe kam, fand er nichts. Mit beiden Händen betastete er die Leibung von unten nach oben. Seine Hände trafen sich oben. Dann versuchte er, wieder eine Klinke oder ein Schlüsselloch zu finden. Nichts. Diese Türe war außen angeschlagen und konnte auch nur von dort geöffnet werden.
Er ging weiter und betastete die restlichen Betonwä nde nun erneut. Gründlicher. Bald schon wurden seine Handinnenflächen taub von dem harten Beton. Er setzte sich auf den Boden, so wie er vermutete, der Türe gegenüber. Wie lange mochte er jetzt schon hier sein? Was war mit Christoph und Dr. Leck? Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen. Er hatte sich bisher nur um sich gekümmert, an seinen Sohn und die Ärztin hatte er nicht gedacht. Er beruhigte sich mit dem Gedanken, dass sie wohl auch hier wären, wenn ihnen etwas passiert wäre.
Aber sicher war er sich da keineswegs. Was sprach dagegen, dass es mehrere solcher Gefä ngnisse gab. Ganz im Gegenteil, einmal gefasst, wütete der Gedanke in seinem Hirn. Er hatte Christoph weglaufen sehen. Aber was war dann passiert? Er hatte sich außerhalb seines Gesichtsfeldes befunden. Bewegungsunfähig, und halb taub, wie er gewesen war, konnte es durchaus sein, dass auch sein Sohn gefangen worden war. Oder Dr. Leck.
Er ve rsuchte sich zu erinnern, was er gehört hatte. Wütende Stimmen, das Zuschlagen der Türe. Nichts weiter.
Der Gedanke war entsetzlich. Sein Sohn war vielleicht doch in der Gewalt der Entfü hrer. Vielleicht war auch er hier. Vielleicht war er ganz woanders. Wo war er selber? Wie lange war er bewusstlos gewesen? Wie weit hätten die Entführer in der Zeit kommen können? Fragen um Fragen. Keine Antworten. Befand er sich noch in Bonn?
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